Die Welt der Erwachsenen ist die Welt der Arbeit.
Um das Dach über unseren Köpfen, das Essen auf unseren Tellern, den Strom aus unseren Steckdosen und die Kleider an unseren Leibern zu bezahlen, müssen Erwachsene arbeiten.
Ihr Leben gehört den Preisschildern.
Täglich stellen sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung, um ein Gehalt zu bekommen. Lohnarbeit ist damit die am meisten verbreitete Art, Geld zu verdienen. Arbeit und Geld scheinen in unserer Gesellschaft eine zwangsläufige Verbindung eingegangen zu sein. Ohne Arbeit kein Geld.
Gleichzeitig hört man oft, dass Arbeit nicht alles im Leben sei. Es findet sich eine ganze Armee von Merkzitaten wie: „Ich lebe nicht, um zu arbeiten, sondern ich arbeite, um zu leben“, „Mach eine Arbeit, die dir Freude macht“, „Geh deinen eigenen Weg und du findest deine wahre Berufung“ oder mein allerliebstes: „Hör einfach auf dein Herz“. Schön wärs, wenn unsere Arbeit nur von unseren inneren Wünschen abhänge oder, wie Motivationsgurus nie müde werden zu betonen, von unserem „Mindset“. Es gibt nur ein Problem:
Nicht die Wünsche, sondern die Preise bilden den Kontext.
Den Preisen ist es vollkommen egal, ob du Freude an deiner Arbeit hast oder nicht, auf dein Herz hörst oder nicht, für deine Arbeit lebst oder nicht. Das Einzige, was sie interessiert ist: Kannst du zahlen oder nicht?
Wenn nicht, zwingen dich die Preise zu Lohnarbeit. Konkret heißt das: Du gibst deine Zeit, deine Kreativität und dein Wissen für eine Arbeit her, die die Preise für dich bezahlt. Wie du dich fühlst, ist deine Sache, nicht die der Preise. Aber gibt es einen Weg raus aus diesem Teufelskreis?
Angst formt unsere Entscheidung
Vor zwei Jahrhunderten war noch ein Viertel der Menschheit von der Sklaverei und Leibeigenschaft betroffen. Zwang zur Arbeit hat eine lange Tradition.Heute hat man zwar die Sklaverei abgeschafft, aber wie Mark Twain mal sagte, wiederholt sich die Geschichte nicht, sondern sie reimt sich.
Die Verfügung über unsere Arbeitskraft durch einvernehmliche Besitzverhältnisse ist der neue Zwang. Wir kennen das unter dem Namen „Beschäftigung“.
Anstatt gegen unseren Willen in Knechtschaft verkauft zu werden, verleihen wir uns gegen Gebühr. Zugang zu grundlegenden Gütern (Nahrung, Obdach, Energie, Bildung, Gesundheit) hängen vom Geld ab und Geld wird streng bewacht. Den meisten Menschen bleibt deshalb nur die Lohnarbeit, die sie machen müssen.
„Wenn man nicht will, muss man doch nicht!“, könnte man einwenden. Schließlich habe ich doch die freie Wahl zu entscheiden, welche Arbeit ich machen will.
Da ist wieder der verlorene Sohn: der freie Wille.
Liberale Denker haben viel Mühe und Zeit investiert, um den freien Willen ins Zentrum unserer Entscheidungsfindung zu zwingen. Zu ihrem Leidwesen zeigt die Verhaltensforschung, dass er weit weniger von Bedeutung ist, als es Liberale gerne hätten. Die zwei wichtigsten Faktoren sind: Kapital und Zufall.
Noch mal: den Kontext unseres Alltags bilden die Preise. Je nach Zufall und Menge an Kapital präsentiert uns unser Kontext, welche Arbeit wir machen können. Einem Kind von Sozialhilfeempfängern stehen weniger Türen offen als dem eines wohlhabenden Rechtsanwalts. Gene, Sozialisation, gesellschaftliche und politische Bedingungen konkretisieren diesen Kontext. Gemessen an diesen Faktoren ist mein sogenannter Wille vergleichbar mit Wunschdenken.
Wer kann sich was leisten?
Den Satz „Wenn man nicht will, muss man nicht“ kann nur jemand äußern, der sich das leisten kann. Sein Kontext erlaubt es ihm. Die eigentliche Frage lautet daher: Wer kann sich was leisten?
Wenn die Preise uns zerdrücken, wie lange werden wir ihnen trotzen können? Die Antwort lautet: bis wir kein Geld mehr haben. Und nicht: bis wir nicht mehr wollen.
Diejenigen ohne Reichtum müssen durch den engen Flaschenhals der Erwerbsarbeit. Dass man sie für ihre Arbeit bezahlt, ändert nichts an der Tatsache, dass es sich um eine Herrschaftsbeziehung handelt. Der Arbeitsgeber bezahlt seine Angestellten, damit sie an seiner Vision von der Zukunft mitwirken.
Um ihren Grundbedarf zu decken, bleibt den Angestellten nichts übrig, als diese Übereinkunft zähneknirschend zu akzeptieren. Den Kern unserer Arbeitswahl formt somit unsere Angst, die Preise nicht zahlen zu können. Deswegen protestieren wir nicht. Aus Angst.
Das Märchen von der Leistung
Zu allem Überfluss halten wir in Deutschland wacker am Märchen der Leistungsgesellschaft fest („Wer viel leistet, soll auch mehr verdienen“), was in Wahrheit einem schlechten Witz gleicht. Wenn man bedenkt, dass hierzulande jährlich 400 Milliarden Euro vererbt werden, ohne dass die Erben auch nur einen Finger krümmen, fragt man sich, was das noch mit Leistung zu tun haben soll.
Überhaupt ist der Leistungsbegriff schön vage und nichtssagend. Leistet der Krankenpfleger mehr, der alten Menschen durch den Tag hilft, oder der Broker an der Wallstreet, der mit Kakaobohnen und Kinderarbeit Millionen verdient?
Das Märchen von der Leistungsgesellschaft verstellt den Blick auf die Realität, weil es so tut, als wäre Wohlstand durch harte Arbeit erworben. Damit setzt man Armen dem trügerischen Gefühl aus, sie seien an ihrer Armut selbst schuld. Dass der Zufall der Schlüsselfaktor ist, ob man reich oder arm geboren wird, kehrt man geschickt unter den Teppich.
Der Philosoph Ludwig Wittgenstein sagte einmal: „Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unseres Verstandes durch die Mittel der Sprache.“ Was verstehen wir in diesem Licht also unter Leistung?
Die etablierte Lohntheorie definiert Leistung als durch Angebot und Nachfrage festgelegten Marktwert dessen, was Beschäftigte produzieren. Aber dieser Wert verändert sich mit den Bedingungen des Marktes. Wenn morgen 90 Prozent der Ingenieure tot umfallen, würde der Marktwert für die übrigen 10 Prozent schlagartig in die Höhe schnellen.
Dabei ändern sich weder ihr Arbeitsaufwand noch ihre Leistung, trotzdem bekommen sie mehr Geld. Der Wert unserer Leistung ist also von Faktoren bestimmt, auf die wir keinen Einfluss haben. Letztlich ist eine Leistung, die wir höher bewerten, reine Glückssache.
Harte Arbeit ist keine Tugend an sich
Selbst „aus eigener Kraft“ reiche Menschen sind all denen, die die Voraussetzungen für ihre Bereicherung schufen – die Technologien und Infrastrukturen entwickelten, die Institutionen aufbauten und begünstigte Gesetzte erließen – mehr schuldig, als ihr Vermögen hergibt.
Der Milliardär Warren Buffet gestand einmal: „Wenn Sie mich in Bangladesch oder Peru oder anderswo aussetzen würden, wären sie überrascht, wie wenig ich mit meinem Talent auf dem falschen Terrain bewirken könnte. Ich bin in einem Marktsystem tätig, das zufällig das, was ich tue, sehr gut belohnt – unverhältnismäßig gut.“
Natürlich bedarf es keinerlei Anstrengung, durch Erbschaft zum Reichtum zu gelangen. Ein Talent zu entwickeln, daran zu arbeiten und es damit zu Wohlstand zu bringen, dagegen schon.
Ärzte, Wissenschaftlerinnen, Künstler müssen jahrelang studieren und an ihrem Handwerk feilen. Das ist verdammt mühsam.
Trotzdem werden große Künstlerinnen oder Ärztinnen nicht für ihre Mühe und harte Arbeit bezahlt, sondern für den Marktwert ihrer Leistung. Harte Arbeit ist auch keine Tugend an sich. Finanzspekulanten und Waffenhändler arbeiten auch hart, doch sie tragen dazu bei, dass sich die Lebensbedingungen vieler verschlechtern.
Der Wirtschaftswissenschaftler Ha-Joon Chang entlarvt den Mythos, dass unser Lohn von unserer Leistung abhängt, mit einem simplen Beispiel: Ein Busfahrer in Schweden verdient 50-mal mehr als ein Busfahrer in Indien. Käme jemand auf die Idee, zu sagen, der schwedische Busfahrer habe mehr geleistet?
Eigentlich sollten wir Arbeitslose bewundern
Wenn man Leistung mit Lohnarbeit zwangsverheiratet, sind die Folgen dramatisch. Die seltsame Entwicklung, dass wir Arbeit derart achten und Arbeitslosigkeit ächten, ist historisch betrachtet verwunderlich. Seit der Antike galt Arbeit gegen Bezahlung als Domäne der Sklaven und Armen. Jene, die nicht arbeiteten, gaben sich den schöneren Dingen des Lebens hin: Philosophie, Literatur, Kunst, Entspannung.
Sicher konnte sich das der freie Athener nur auf den Schultern von Sklaven leisten. Aber der Gedanke, man wäre faul und asozial, wenn man nicht für Lohn arbeitete, war geradezu absurd. Noch Jahrhunderte später adelte sich die höhere Schicht gerade durch ihre Arbeitslosigkeit.
Konsequenterweise konzentrierten sich die meisten Utopien zum Thema Arbeit darauf, den Menschen vom Zwang der Arbeit zu befreien. Eigentlich sollten wir Arbeitslose bewundern, die nicht von 9 bis 17 Uhr in Büros sitzen müssen. Das war mal das Ideal, nach dem wir strebten.
Der Gegenbegriff zur Arbeit, den viele kaum noch kennen, ist „die Muße“: die freie Zeit und innere Ruhe, das zu tun, was den eigenen Interessen entspricht. Karl Marx fantasierte sich den Tag herbei, wenn Menschen „morgens jagen, nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben, nach dem Essen kritisieren … ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden“.
Das war keineswegs eine kommunistische Fantasie. Auch der Begründer des klassischen Liberalismus John Stuart Mill freute sich darauf, dass mit steigendem Wohlstand Menschen in Zukunft mehr Zeit zur Muße hätten.
Freizeit als Problem
Noch Anfang des letzten Jahrhunderts war das unter Ökonomen ein weitverbreiteter Gedanke. Der wichtigste Vertreter des Neoliberalismus John Maynard Keynes glaubte wie die meisten Wirtschaftsexperten des 20. Jahrhunderts, dass das große Problem der Zukunft die Freizeit sein wird.
Und aus gutem Grund: Zwischen 1850 und 1950 verringerte sich die Arbeitszeit von 80 Stunden die Woche auf 30 bis 40 Stunden. Was also anfangen mit so viel freier Zeit?
Trotzdem betrachten wir Arbeitslosigkeit heute so verächtlich wie nie zuvor. Noch schlimmer. Sender und Zeitungen wie RTL und BILD werden nie müde, Arbeitslose vorzuführen und sie uns als amoralische Wesen zu präsentieren, die unser Mitleid nicht verdient haben. Politiker schleimen sich ununterbrochen bei der arbeitenden Klasse ein: „Wer arbeitet, muss auch mehr verdienen!“ Demnach sollen sich Arbeitslose schämen, keine Arbeit zu haben, und noch weniger Geld bekommen.
Das Denken vieler Menschen (vor allem der Ärmeren) ist beherrscht von der Idee, die Lohnarbeit sei ein Wert an sich. Diejenigen, die Arbeit haben, dürfen sich gut fühlen, die anderen wie Versager. Egal, ob uns die Arbeit gefällt oder nicht. Ob sie nützlich ist oder nicht, sinnerfüllend oder nicht. Hauptsache, man arbeitet! Nur was passiert mit uns, wenn wir Arbeit als Zwang akzeptieren?
Selbstwirksamkeit oder die Freude an der Sache
Der Psychologe Karl Groos revolutionierte Anfang des letzten Jahrhunderts die Entwicklungspsychologie, weil er sich die simple Frage stellte, warum wir Menschen so gerne spielen.
Wie kommt es, dass wir beim Spielen so leidenschaftlich und aufgeregt sind, selbst wenn wir wissen, dass außerhalb der Grenzen des Spiels vollkommen gleichgültig ist, wer gewinnt?
Groos vermutete, dass das Spielen ein elementarer Bestandteil unserer Entwicklung ist. „Die Freude, Ursache zu sein“, legt die Grundlage des Spielens dar. Im Spielen beobachten wir, so Groos, wie wir die Welt beeinflussen können, wie unsere eigenen Handlungen Sinn erzeugen können und über Sieg und Niederlage entscheiden. Was Psychologen heute Selbstwirksamkeit nennen, geht größtenteils auf Groos’ Theorie des Spielens zurück und ist enorm wichtig für unsere seelische Gesundheit.
Zurück zur Arbeit.
Denkt an die Freude von Schriftstellerinnen und Lektoren beim Feilen an Sätzen. Von Designern und Architektinnen beim Entwerfen von Gebäuden. Von Schachspielerinnen und Mathematikern beim Tüfteln von komplizierten Aufgaben usw. All das sind Selbstwirksamkeitserfahrungen. Vordergründig steht dabei die Freude, wirksam zu sein.
Menschen in Arbeitsverhältnissen mit höherer Selbstwirksamkeitserfahrung leiden seltener an Depressionen, Angststörungen und freuen sich mehr auf ihre Tätigkeit. Dabei geht es nicht um den Lohn, den sie erhalten, sondern die Freude an der Sache selbst. Und genau diese Freude sollte unsere Kernvorstellung von wertvoller Arbeit bilden. Indem wir jede Arbeit heiligen und Arbeitslosigkeit verteufeln, vernachlässigen wir die Frage, welcher Art Arbeit wir Wert beimessen sollten. Wir nehmen Zwang als naturgegeben und psychische Folgeschäden als normal hin. Das sollte uns bewusst sein.
Was ist ein Bullshitjob?
Als in den Achtzigern in allen Industrienationen die Arbeitszeitverkürzung stoppte und man in einigen Ländern sogar wieder mehr arbeitete, entstand auf dem Arbeitsmarkt ein merkwürdiges Phänomen: die Bullshitjobs.
Vier Jahre lang arbeitete ich für Targobank in der Finanzierungsabteilung von MediaMarkt. Ich war zehn Stunden am Tag in einem kleinen Raum eingesperrt, und meine Aufgabe bestand darin, nach einem vorgegebenen Algorithmus die Daten der Käufer in eine Finanzierungsmaske einzugeben und auf Targobanks Antwort zu warten. Es war eine Arbeit, die jeder mit einem Internetanschluss von zu Hause hätte erledigen können. Doch MediaMarkt engagierte ein Subunternehmen dafür, weil es günstiger ist, als eigene Mitarbeiter zu bezahlen. Das Subunternehmen engagierte mich.
Ich war Student, brauchte das Geld, musste die Preise zahlen.
Es war die langweiligste Arbeit, die ich je gemacht habe. Ewig dieselben Fragen, ewig derselbe Vorgang. Um dem geistigen Suizid entgegenzuwirken, las ich heimlich Bücher oder überarbeitete meinen Roman, doch weil die Abteilungsleitung es nicht gerne sah, dass wir nicht „arbeiteten“ (auch wenn es nichts zu arbeiten gab!), verlagerte ich mich zwangsweise auf Wikipedia-Artikel. Tat so, als ob ich arbeite. Darin wurde ich ein Profi.
Doch bin ich damit allein? Schön wär’s.
Der Anthropologe David Graeber veröffentlichte 2015 spaßeshalber einen Beitrag mit dem Titel „Über das Phänomen der Bullshitjobs“ und gab meiner Targobankzeit einen Namen. Graebers Kernthese war, dass viele Menschen ihr Arbeitsleben mit Tätigkeiten verbringen, die sie eigentlich für sinnlos halten: im Telefonvertrieb, Personalmanagment, als Social-Media-Strategen, PR-Berater, Verwaltungsangestellte usw. Graeber bezeichnete diese Arbeit als Bullshitjobs. Nicht weil er was gegen sie hat, sondern weil die Beschäftigten selbst die Arbeit als sinnlos betrachten. Die Reaktion auf seinen Beitrag war unglaublich. Innerhalb von Wochen wurde er in 20 Sprachen übersetzt und Graeber bekam Tausende Nachrichten von Menschen, die über Sinnlosigkeit ihres Berufes klagten.
Ein Bullshitjob ist eine Tätigkeit, die so sinnlos, unnötig oder schädlich ist, dass selbst die Beschäftigten ihre Existenz nicht rechtfertigen können. Nach einer Befragung in England sehen fast 40 Prozent (in Deutschland 35 Prozent) der Beschäftigten keinen Sinn in ihrer Arbeit. Interessanterweise tritt diese Meinung gehäuft im Finanzwirtschaftssektor auf, wo die Manager am meisten verdienen. Wenn die Preise bezahlt sind, scheint der Wunsch nach einer Tätigkeit mit Wert und Sinn immer dringlicher zu werden.
Was tun?
Verstehen wir erst, dass unser Überleben von Preisen abhängt, dass unsere Arbeitsleistung nichts mit dem Gehalt am Monatsende zu tun hat, dass Millionen Menschen keinen Sinn in ihrer Arbeit sehen, egal, was sie verdienen, wird es höchste Zeit, Arbeit neu zu denken.
In meinem Beitrag zur Armut habe ich dafür geworben, Menschen Geld zu schenken, ohne etwas von ihnen zu verlangen. Diese Forderung geht mit dem Gedanken des bedingungslosen Grundeinkommens einher und lässt den Leistungsmythos hinter sich. Leider fokussieren sich viele Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens zu sehr auf die Gefahren der Digitalisierung. Sie verweisen darauf, dass wir bald keine Jobs mehr haben werden und von Massenarmut bedroht sind.
Mag schon stimmen.
Aber das Argument hat ein wenig was von in die Kristallkugel schauen, um die Zukunft vorauszusagen. Man kann in der Kugel eine schwarze Zukunft sehen. Positiv gestimmte Zeitgenossen sehen dagegen eine rosige Zukunft. Da die Zukunft noch nicht eingetroffen ist, weiß niemand, wer Recht hat. Deshalb bleibt die Digitalisierung als Argument schwach.
Nicht falsch, aber schwach.
Wir müssen uns auf die Gegenwart konzentrieren. Und uns ernsthaft fragen, wieso wir noch an unserer veralteten Vorstellung von Arbeit festhalten, obwohl sie im Kern auf Angst, Zwang und Leistungslüge fußt. Warum sollen wir den Arbeitszwang hinnehmen, wenn wir Menschen echte Freiheit ermöglichen könnten? Eine Möglichkeit zwischen wirklichen Alternativen zu wählen, ohne sie in Bullshitjobs zu drängen. Warum sollten sie nicht die Freiheit bekommen, vor den Preisen geschützt zu werden, ohne dass wir sie als Sozialschmarotzer stigmatisieren?
Reichtum, Gene und Umfeld sind letztlich vom Zufall abhängig. Nicht von Leistung. Nicht vom Willen. Menschen Geld zu schenken, deren Leben von Preisen bedroht wird, ist keine wirtschaftliche Frage mehr. Es ist eine moralische Frage. Die Antwort darauf spiegelt in all ihrer Härte unsere Wertvorstellung wider.
Spieglein, Spieglein an der Wand, welchen Wert vertritt das ganze Land?
Eine Gesellschaft, die den Wert der Gerechtigkeit hochhält, muss den Zufall ernst nehmen. Menschen, die nichts außer ihrer Arbeitskraft haben, betrachten Arbeit längst als Zwang. Und je verzweifelter Menschen sind, umso leichter lassen sie sich ausbeuten. Das passiert täglich. Wollen wir das?
Der Philosoph Bertrand Russell bemerkte in diesem Zusammenhang Folgendes: „Wenn Menschen, statt gezwungen zu sein zu arbeiten, dazu verführt werden müssten, hätte dies das offenbare Interesse der Gesellschaft zur Folge, dass die Arbeit angenehm gestaltet wird.“
Der Zwang liegt zuallererst in den Preisen. Ein Grundeinkommen, das die Preise deckt, ist der erste Schritt zu Russels Vorstellung. So gab es vor Kurzem in Österreich ein Volksbegehren, durch das jedem Bürger ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 1200 Euro hätte ermöglicht werden können. Bezahlen sollte es eine Transaktionssteuer, die der normale Bürger kaum zu spüren bekommt. Diese Steuer betriff den Geldverkehr und fasst Aktienwetten und Spekulationen aus dem Hochfrequenzhandel ins Auge. Eine Art Ministeuer für Reiche. Obwohl das Volkbegehren gescheitert ist, bleibt die Transaktionssteuer ein gutes Instrument, um die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens voranzutreiben. In einer Welt voller Preisschilder erscheint sie mir als die menschenwürdigste Idee.
Vielleicht können wir dann wieder über Muße nachdenken, darüber, was wir wirklich machen wollen, und unsere Arbeit mit Sinn erfüllen.
4 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ein absolut toll gefasster, ausdrucksstarker als auch überaus wertvoller Beitrag! Ich wünsche mir sehr, dass es nach und nach immer mehr Menschen erreicht. Deine Zeilen und Worte unvergleichlich! Es holt mich ab und vervielfacht auf ganz verständliche-menschliche Art und Weise wie bedeutsam das Thema wirklich ist!
Von Herzen Danke für deine Hingabe!!
Danke für deine netten Worte. Ich wollte dieses Thema schon so lange behandeln und bin total froh, dass der Text dir soviel bedeutet:)
Ich mag die philosophischen, historischen und psychologischen Aspekte die du mit eingebracht hast. Gut und amüsant geschrieben! Soweit ich weiss war es Henry Ford der den 9-5 Job mit der Fließbandproduktion einführte und die Zeit taktete. Die Menschen leben seither nicht mehr nach ihrer biologischen (inneren) Uhr, sondern folgen dem Takt von leblosen Metallkörpern. Ich weiss nicht “ob eine Leistung, die wir höher bewerten, reine Glückssache” ist. Wenn ich mir einen Schuh von Aldi für 5 Euro kaufe und den gleichen Schuh von Jordan für 300 Euro steckt bei einem einfach mehr Marketing bzw Propaganda drin die ich so hinnehme und dafür mein hart verdientes Geld hergebe. Du hast recht wenn du schreibst dass “Ärzte, Wissenschaftlerinnen, Künstler jahrelang studieren und an ihrem Handwerk feilen müssen” und dass das mühsam ist, letztendlich können wi rin einer industrialisierten Welt nicht auf “Sklaven”, “Arbeitnehmer” bzw. “Bullshitjobber” verzichten. Du, ich, wir alle profitieren von Sklaven und ihrer Arbeit, deswegen sind wir auch hier in Deutschland. Der Westen genießt seine Muße durch die Ausbeutung anderer Länder und die Ausbeutung von “Drecksarbeiter”. Dass wir “Arbeit derart achten und Arbeitslosigkeit ächten” hat eventuell was damit zu tun dass Menschen sich zu Leistung, Kraft, das Schöne hingezogen fühlen (siehe wieder Beispiel Jordan Schuh vs Aldi Schuh). Ich denke dass eine der Gründe warum Menschen trotz all deiner Punkte arbeiten gehen ist dass Arbeit mittlerweile eine Art “Religion” und Ersatzfamilie geworden ist. Auf der Arbeit kriege ich meine Anerkennung, da habe ich meine Freunde (neue Familie”), werde für meine geleistete Arbeit akzeptiert und dafür belohnt bzw wertgeschätzt. All das fehlt vielen in unserer Gesellschaft. Dann wären wir beim Thema Selbstbewusstsein und Selbstwertschätzung was etwas abdriften würde. Deine erwähnten Berufe “Designern und Architektinnen, Schachspielerinnen, Mathematikern” wären doch nichts ohne “Sklaven” die diese Ideen umsetzen und sogar ihr Leben für große Brücken oder Mauern hergeben.
Genau wie du wollte ich nie als Sklave enden und hab immer versucht über meine Zeit selbst bestimmen zu können. Wir haben in unserer Schulzeit nicht gelernt wie man ein erfolgreiches Leben führt. Uns wurde immer eingeprügelt: “Macht euere Schule! Sei ein guter Schüler! Studiert! Sei ein guter Student! Sei ein guter Arbeitnehmer!” Ich finde die wichtigsten Skills die man einem Menschen mitgeben sollte sind 1) Kommunikation (wie kann ich das verbalisieren/kommunizieren was ich möchte/will); 2.) Projektmanagement (alles ist ein Projekt! Wie plane ich was und bringe es erfolgreich zum Ziel; 3.) Wie funktioniert Geld?
Du hast recht, die Digitalisierung die wir gerade erleben wird vieles verändern, erleichtern und aber auch erschweren. Du meintest dass der Preis alles bestimmt und wir deswegen vom Geld abhängig sind. Doch letztendlich können wir uns vieles selbst ersparen in dem wir selbst Sachen die dir wollen oder brauchen produzieren. Nähen lernen für eigene Klamotten. Lernen wie man Gemüse anpflanzt und es dann selbst zu kochen. Lernen Sachen zu reparieren anstatt teuer neu zu kaufen. natürlich sollte man nicht wie der letzte Penner rumlaufen doch ich denke dass mit der Fridaysforfuture Bewegung und dem Vegan Lifestyle einiges im Bewegung kommt. Letztendlich ist es aber auch unser Komfort. Beispiel: Ich trinke täglich 1-2 Liter Bio Haferlich und zahle für einen Liter rund 1,30. Ich könnte diese selbst herstellen und immens viel sparen, doch bin zu faul. Deswegen kaufen auch Menschen Zeit gegen Geld ein. Letztendlich ist alles Arbeit, soziale Kontakte Pflegen, Sex, Duschen, Einkaufen, jdn zuhören, nachdenken, philosophieren….etc Der eine tut es für geld der andere für seinen Seelenheil, einen Weg der Mitte zu finden ist für die Ballerina das Balancieren auf dem Seil zwischen Kapitalismus und dem Bedingungslosen Grundeinkommen (Utopie).
Vielleicht kurz zu den Punkten, die für dich unverständlich waren. Also der Umstand, dass Michael Jordan viel Geld investiert für Marketing, er selbst eine große Sportpersönlichkeit ist und deswegen der Marktwert für seine Schuhe enorm hoch sind, widerspricht ja nicht der Aussage, dass dieses Phänomen zufällig ist. Zufall bedeutet ja nicht grundlos. Es gibt Gründe, warum wir Sportler vergöttern, aber es ist zufällig so, dass wir Basketballer gerade so stark vergöttern und nicht Tischtennisspieler. Zufällig bekommt ein Taxifahrer in Indien mehr Geld als ein Taxifahrer in Schweden. Auch dafür gibt es Gründe. Geht man die Kausalkette zurück, kommen wir aber trotzdem immer bei dem Zufall an.
Man kann immer den Anspruch an Menschen stellen, Menschen sollten doch weniger essen, kaufen, konsumieren usw. Doch Fakt bleibt, dass die Preise in diesem System nach deinem Geld verlangen. Und egal, wie minimalistisch und umweltbewusst du lebst, es hat einen Preis (einen monetären). Miete, Strom, Bildung, Verkehr, Nahrung sind mit Preisschildern versehen. Natürlich kann man in den Urwald ziehen, aber solange man in diesem System lebt, ,muss man die Preise bezahlen. Welchen Lebensstil man dann verfolgt, ist irrelevant für die Preise.