Die Mini Intifada
Anfang der Neunziger richtete die Al-Quds-Universität einen Betriebsrat ein, der ihre Interessen gegen die israelische Politik in Form einer Gewerkschaft vertrat. Zu meiner Überraschung wählten die Studenten mich zum Präsidenten des Rates.
Dieses Amt katapultierte mich mitten hinein ins politische Geschehen. Ich nahm Kontakt zu meinen palästinensischen und israelischen Freunden auf. Durch unser gemeinsames Engagement wuchs der Betriebsrat über die Grenzen der Universitäten hinaus zu einer landesweiten Gewerkschaft. In die Enge getrieben, suchte die israelische Regierung nach einer Möglichkeit, unsere Bewegung zu ersticken und fand sie in der jordanischen Militärverordnung 854. Diese besagte, dass alle Dozenten eine neue Arbeitsgenehmigung beantragen und dabei ihre Loyalität zur Regierung bezeugen müssen. Mit diesem Schachzug – Hunderten Professoren drohte die Ausweisung – stand unsere Gewerkschaft vor dem Ende. Wie sollten wir darauf reagieren?
Wir diskutierten nächtelang. Dann trafen wir eine Entscheidung. Wir würden auf die Verordnung pfeifen. Wir würden unser Engagement fortführen, noch stärker als zuvor. Wir würden im ganzen Westjordanland und Gazastreifen Anhänger rekrutieren.
Erst hörten wir nichts von der Regierung. Dann wiederholten sie ihre Drohung.
Und wir wiederholten unsere Antwort. Wir waren weder gewalttätig, noch riefen wir zur Gewalt auf. Wir ignorierten schlicht und einfach die Verordnung, und zum allgemeinen – und zu meinem eigenen – Erstaunen unternahm die israelische Regierung nichts.
Wir wurden mutiger.
Um weitere Unterstützer zu gewinnen, veröffentlichten wir Studien in Zeitungen, verteilten Flugblätter und organisierten Vorträge. Meine Studenten schwärmten in alle Himmelsrichtungen aus, um Dorfbewohnern und Gemeindeältesten die Bedeutung der Verordnung zu erläutern. Wir mobilisierten auf diesem Wege große Teile des Landes in einer Bewegung, die später als Mini Intifada berühmt werden sollte.
Ein Lehrstück in strategischem Denken
Dann kam es zu einem gewalttätigen Vorfall. Ein israelischer Offizier tauchte plötzlich auf unserem Campus auf und verlange nach den Namen aller studentischen Aktivisten. Kaum hatte sich die Nachricht herumgesprochen, sah sich der Offizier umringt von der wütenden Studentenschaft. Lauthals forderten sie ihn zum Gehen auf und drängten ihn zurück. Als er die Treppe hinunterstieg, schubste ihn einer der Studenten und der Offizier fiel zu Boden. Chaos brach aus. Ich tat mein Bestes, um dafür zu sorgen, dass der Offizier das Gelände heil verlassen konnte. Aber es war nun einmal passiert.
Am folgenden Tag bekamen wir die Macht des israelischen Sicherheitsapparats in ihrer vollen Wucht zu spüren. Die Armee schloss den Campus für drei Monate. Über siebzig Dozenten von verschiedenen Universitäten wurden abgeholt und des Landes verwiesen.
Zu diesem Zeitpunkt war die Basisorganisation unserer Bewegung aber schon so stark, dass die Israelis mit der Schließung der Universität nur erreichten, dass sich der Konflikt auf die Städte und Dörfer im ganzen Westjordanland ausweitete. Als die Universität ihre Pforten wieder öffnete, ging der gewaltlose Kampf gegen die Militärverordnung 854 weiter. Wir schworen uns, diesmal keine Gewalt anzuwenden, komme was wolle. Und wieder unternahm die israelische Regierung nichts.
Für unsere Bewegung war das ein außergewöhnlicher Erfolg und für mich ein bedeutendes Lehrstück. Seit fünfunddreißig Jahren war jeder Schuss, den wir gegen die Besatzer abgegeben hatten, mit zehnfacher Wucht auf uns zurückgeprallt: Noch mehr Land wurde beschlagnahmt, noch mehr Menschen vertrieben, noch ein Stück unserer Zukunft zertrampelt. Es war ein aussichtsloser Kampf, denn sie hatten eine Strategie, wir nur unsere Gefühle. Jetzt entdeckten wir zum ersten Mal unsere Stärke. Im Repertoire der Israelis fand sich nämlich kein Mittel, um eine mit voller Überzeugung geführte gewaltfreie Kampagne zivilen Ungehorsams nieder zu schlagen.
Wir erreichten nicht nur, dass die UNO in einer Sonderresolution Israel dazu aufrief, die Militärverordnung 854 fallen zu lassen, es gelang uns außerdem, die Unterstützung der Internationalen Juristenkommission zu gewinnen. Auch viele Israelis sprachen sich für uns aus.
Und schließlich gab die israelische Regierung klein bei.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Zum ersten mal sehe ich den Konflikt aus dieser Perspektive und verstehe, dass der friedliche Protest eine grössere Bedrohung für die Existenz Israels darstellt als der gewalttätige, aber so macht alles Sinn. Sehr schön geschrieben, es liest sich wie ein Roman, dabei enthält es eine hochpolitische message.
Wahnsinnig schön geschrieben. Und so wahnsinnig traurig.