Plötzlich erschienen mir die Dinge in einem anderen Licht
Wenn Scharons Politik bei diesem simplen gewaltfreien Widerstand die Hände gebunden war, so grübelte ich, musste da mehr hinter stecken.
Zivilisierte, intelligente Aktionen hatten Erfolg, weil die im Allgemeinen ebenfalls zivilisierten und intelligenten Israelis zögerten, vor den Augen ihrer westlichen Partnerländer mit Todesschwadronen und Siedlungsbau auf Gewaltlosigkeit zu antworten. Da sie einer strengen Rechtsordnung unterstanden und stolz darauf waren der Gemeinschaft der westlichen Staaten anzugehören, konnten die Israelis das Feuer nur eröffnen, wenn sie glaubten, dass sie ungestraft davonkommen würden. Und das ging nur, wenn unsere Gewalt ihre Gewalt rechtfertigte. Plötzlich erschienen mir die Dinge in einem anderen Licht.
Unsere Attentate offenbarten sich als ein Symptom der Situation, in der wir lebten, nicht als der Weg aus ihr heraus, denn für die Gegenseite waren es willkommene Geschenke, mit denen sie ihren gewalttätigen Machtausbau legitimierten.
Die Hamas und der Scharonismus offenbarten sich als zwei Seiten ein und derselben Medaille. Beide schlugen die Tür zum Dialog zu. Die einen mit Bomben, die anderen mit Baggern.
Scharons berühmte Mauer, Sinnbild des Konflikts, offenbarte sich als die Manifestation der Strategie Scharons: Nicht zum Schutz vor Terror diente sie – Kassam Raketen können eine sechs Meter hohe Barriere leicht überfliegen – nein, sie bewirkte genau das Gegenteil, sie schützte vor zwischenmenschlichem Dialog. Die Mauer war das perfekte Verbrechen, weil sie die Gewalt heraufbeschwörte, die sie zu verhindern vorgab.
Die israelischen Hardliner wollten den Eindruck erwecken, sie würden einen Kampf auf Leben und Tod führen, gegen eine Bande skrupelloser Terroristen, die es auf die Zerstörung des jüdischen Staates abgesehen hatten. Terror sei der Grund für die Besetzung der Gebiete, Terror sei der Grund für die Errichtung von Siedlungen zu Verteidigungszwecken. Schaut, es gilt den Terror zu bekämpfen, sich zu verteidigen, die Demokratie zu schützen. Wer sollte dagegen die Stimme erheben?
Ein Regierungsbeamter gestand in einer Phase der Gewaltlosigkeit der Zeitung Ha’aretz, die Abwendung der Palästinenser vom Terror sei für israelische Hardliner eine „Katastrophe“; diese sähen es lieber, wenn die Palästinenser „zu ihren früheren terroristischen Taten zurückkehren, in aller Welt Bomben legen, jede Menge Flugzeuge entführen und viele Israelis töten“.
Es überraschte mich deshalb nicht, dass Scharons Regierung in den Folgejahren islamische Extremisten immer öfter bloß aus der Distanz beobachtete, ja bisweilen sogar finanziell unterstütze, während gemäßigte, friedvolle Aktivisten rabiat verfolgt wurden. Dass es mich selbst treffen würde, damit hatte ich jedoch nicht gerechnet. Es traf mich, während ich mit meinen israelischen und palästinensischen Freunden für gemeinsame Komitees und friedliche Proteste warb.
Ich wurde abgeholt, verhaftet, angeklagt und ohne Prozess eingesperrt.
Aus meiner Zelle schrieb ich am 29. Januar 1991 folgende Worte an meine drei Söhne:
„Ich gebe diesen Brief als Geschenk an meine Kinder, die auch in Zukunft meine Freunde sein werden. Dieses Geschenk wird euch keine Freude bereiten wie andere Geschenke, die ich von Reisen nach London oder Paris mitgebracht habe. Aber vielleicht hält es länger als diese anderen Geschenke, und vielleicht ist es in den kommenden Jahren nützlicher für euch, auch wenn ich es nicht wage, das zu beurteilen.
Die Wahrheit ist, dass ich für den Frieden bin, aber dass die Israelis meine Stimme der Mäßigung nicht mögen. Ich möchte einen echten, ausgewogenen Frieden, der keine Kapitulation bedeutet, der unsere Würde bewahrt und den Interessen beider Seiten dient, nicht nur denen der einen auf Kosten der anderen. Dafür habe ich geschrieben, gesprochen und gelebt. Die Wahrheit setzt sich durch … wir werden bald den Sieg erringen, wir werden frei sein und unser Volk wird seine Unabhängigkeit erhalten. Wenn wir heute den Preis dafür zahlen, dann deshalb, damit Sie und Ihre Söhne nicht dasselbe Leid durchmachen müssen, damit Sie Freiheit atmen und den Fortschritt der Menschheit durch Ihre Kreativität vorantreiben können.
Das ist der Grund, warum ihr einen starken Willen haben müsst. Um den festen Felsen in euch zu suchen und zu finden. Wenn ihr ihn gefunden habt, werdet ihr euch selbst finden. Dieser Felsen besteht darin, ehrlich zu sich selbst zu sein – und mit sich selbst ins Reine zu kommen.
Es geht darum, an dem festzuhalten, was richtig ist, und mit Souveränität über die eigenen Gedanken und Handlungen zu entscheiden. Das war der Fels, von dem mein Vater immer sprach, wenn ich ihn nach der Quelle seiner Kraft fragte. Er war einer der wenigen Menschen, die ich je gekannt habe, der diese Kraft hatte, als hätte er sie in seiner Tasche. Das ist der Fels in der Brandung des Selbst, den ihr vielleicht noch mehr als andere entdecken müsst. Vielleicht können die schwierigen Bedingungen, in denen ihr euch befindet, euch helfen, indem indem sie euch stärker machen. Ich wünsche euch allen, dass ihr ohne Einschränkungen und Ängste kreativ sein könnt – dass ihr eure Identität so bestimmt, wie ihr sie selbst bestimmen wollt. Vor allem möchte ich, dass ihr wisst, dass ich euch und eure Mutter liebe, und wegen dieser Liebe bin ich jetzt im Gefängnis.“
Nachhall
In der New York Times erschien kurz darauf ein offener Brief, der sich an die israelische Regierung wandte und u.a. von Susan Sontag, Arthur Miller, Edward Said und Allen Ginsberg unterzeichnet war: „Wir sind beunruhigt darüber,“ hieß es darin, „dass die israelische Regierung diese schwierige Zeit des Krieges gegen den Irak dazu missbraucht, gerade jene Persönlichkeiten auszuschalten, deren gemäßigte Haltung und Ablehnung von Gewalt für einen gerechten und sicheren Friedensschluss zwischen Israelis und Palästinensern nach diesem Krieg von entscheidender Bedeutung ist.“
Amnesty International bezeichnete Nusseibeh als politischen Häftling und das US Außenministerium erklärte, er sei jemand „mit dem Israel Gespräche führen sollte, anstatt ihn zu verhaften.“ Ein Journalist der Ha’aretz schrieb: „Für mich war es ein furchtbarer Schock, dass dieser wuschelköpfige Professor aus Birseit der Spionage angeklagt wurde. Wenn es nicht so tragisch wäre, müsste man darüber lachen!“ Etliche israelische Studenten, Intellektuelle und Künstler protestierten gegen die Inhaftierung.
Bei ihren Protesten trugen sie Schilder mit der Aufschrift „Euer gefährlichster Feind ist unser Freund“.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Zum ersten mal sehe ich den Konflikt aus dieser Perspektive und verstehe, dass der friedliche Protest eine grössere Bedrohung für die Existenz Israels darstellt als der gewalttätige, aber so macht alles Sinn. Sehr schön geschrieben, es liest sich wie ein Roman, dabei enthält es eine hochpolitische message.
Wahnsinnig schön geschrieben. Und so wahnsinnig traurig.