Reden wir heute mal über Rassismus. Ein Wort, das inzwischen zum Synonym für jede Form von Diskriminierung geworden ist. Dabei müssten sich überzeugte Rassisten eigentlich in ihrer Ehre verletzt fühlen, wie oft ihr Name für anderes missbraucht wird. Schließlich ist Diskriminierung nicht gleich Rassismus, selbst wenn sie nahe Verwandte sind.
Es gab mal eine Zeit, da gehörten Rassisten zu den prominentesten Intellektuellen Europas. Dass sie heute einen so schlechten Ruf genießen, hätte damals niemand voraussehen können. Längst haben viele von ihnen das Lager gewechselt und treten aktuell in einem neuen Gewand auf. Hier nennen wir sie: Kulturalisten. Machen wir aber erst einen Schritt zurück.
Auf der Suche nach einem Ursprungsvolk
Seinen Anfang hat der Rassismus an einem Ort genommen, wo wir ihn vielleicht am wenigsten vermuten würden, nämlich in der Sprachwissenschaft.
Während die Europäer zwischen dem 15. und dem 18. Jahrhundert fleißig Länder eroberten, kamen sie auf eine bahnbrechende Idee. Um die Kolonien besser zu unterdrücken, überlegten sie, sei es hilfreich, die fremden Sprachen der Länder zu beherrschen. So investierten die Eroberer viel Geld in die Sprachforschung und die Ausbildung der eigenen Leute. Ein Offizier zum Beispiel, der nach Kalkutta versetzt wurde, musste erst drei Jahre die Schulbank drücken, um die Landessprache zu erlernen und alles über die dortige Kultur zu erfahren.
Manche Hobby-Sprachwissenschaftler nahmen sich als Zeitvertreib die alten Sprachen vor. Wie zum Beispiel der britische Indologe William Jones. Er stellte die richtige Vermutung an, dass die meisten Sprachen einen gemeinsamen Ursprung haben, also einer Sprachfamilie angehören: der indogermanischen oder indoeuropäischen Sprachfamilie.
Zwei Jahre nach seinem Buch The Sanskrit Language 1788 begründete man die Disziplin der vergleichenden Sprachwissenschaft. In seinem Buch verwies Jones auf die verblüffende Ähnlichkeit zwischen Sanskrit (die alte Sprache der Hindus) und dem Griechischen, Lateinischen, Altpersischen, Deutschen und Englischen. Beispielsweise ist das Wort Mutter in Sanskrit matar, im Persischen madar, im Altkeltischen mathir usw.
Die Begeisterung über Jones Erkenntnisse regte weitere Theorien über die menschliche Herkunft an. Denn wenn es eine Ursprungssprache geben sollte, so die Wissenschaftler, dann müsste es auch ein Ursprungsvolk geben, das sie gesprochen hat. Eine Heerschar von gut bezahlten Sprachwissenschaftlern machte sich daraufhin an die Aufgabe, in alten Texten dieses indogermanische Ursprungsvolk ausfindig zu machen.
Die schmutzige Unterwäsche der Sprachwissenschaft
Und nach einer Weile stellte sich heraus, dass es sich dabei um eine Menschengruppe namens Arya handelte. Die ersten Sprecher des Sanskrits waren vor mehr als dreitausend Jahren von Zentralasien aus in Indien eingefallen. Wahrscheinlich, vermuteten die Wissenschafter, hat dieses Volk nicht nur das große Kulturreich Persien hervorgebracht, sondern auch alle anderen großen Kulturreiche: das der Griechen, das der Inder, der Römer, der Goten und der Kelten. Sie alle stammen angeblich von Ariern ab.
Bis hierhin war noch alles unschuldig. Zwar weit hergeholt, aber unschuldig. Man redete vor allem über Sprache und ihre Herkunft.
Um das 19. Jahrhundert fingen deutsche und französische Linguisten an, Darwins Theorie über die natürliche Auslese mit den sprachwissenschaftlichen Befunden zu vermengen.
Und an dieser Stelle finden wir die schmutzige Unterwäsche der Sprachwissenschaft. Viele Forscher begannen zu behaupten, dass die Arier nicht nur einer Sprachfamilie angehörten, sondern auch eine biologische Gruppe bildeten, also eine Rasse.
Und natürlich nicht irgendeine Rasse, das wäre viel zu langweilig, sondern eine Herrenrasse von großen, blonden, blauäugigen und unfassbar intelligenten Menschen. Diese Blondschöpfe waren von Gott und der Natur auserwählt, den Grundstein aller großen Kulturen zu legen.
Was ist aus den Blonden geworden?
Es gab bei dieser These nur ein klitzekleines Problem: Schaute man sich in jenen Ländern um, aus denen die blonden Supermenschen ursprünglich stammen, fand man dort kaum noch blauäugige, blonde Götter. Was war passiert?
Mit messerscharfer Logik schlossen die klugen Wissenschaftler, dass die Arier sich dummerweise mit dem nichtarischen Volk vermischt hatten. Damit waren ihre Gene ruiniert. Eine Katastrophe. Sie verloren ihre blonden Haare, ihre blauen Augen und ihre übermenschliche Intelligenz.
In Europa dagegen waren die Arier glücklicherweise zufällig rein geblieben. Genau deshalb durften die Europäer auch die Welt erobern. Und wenn sie weiterhin so toll andere Völker unterwerfen wollten, dürften sie bloß nicht den alten Fehler der Arier machen. Und sich mit Nichtariern vermischen. Amen.
Die Rassisten wollten die Welt retten
War die Rassentheorie erst mal in der Welt, gewann sie schnell viele Anhänger. Endlich konnte man den weißen Mann nicht mehr mit Hilfe der Religion zum Herrenmenschen erklären, sondern mit Hilfe der Biologie. Man hatte die Wissenschaft auf seiner Seite und war stolz darauf. Nationalisten aus verschiedenen europäischen Ländern griffen die Rassentheorie begeistert auf und machten es sich zur Aufgabe, die Welt von den minderwertigen Rassen zu befreien. Oder wie es in einem Lied heißt, die Bürde des weißen Mannes zu akzeptieren.
Die Rassisten wollten die Welt retten.
Ganz oben auf ihrer Rettet-die-Welt-Liste standen Juden und Roma. Sie ermordeten nicht gerade wenige von ihnen und waren recht pingelig, was die Reinheit betraf. Schließlich ging es ja um nichts Geringeres als die Rettung der überlegenen Rasse. Eine Vermischung durfte man auf gar keinen Fall wieder zu lassen.
Der Rassist verlässt die Weltbühne
Natürlich sind die kruden Rassentheorien längst widerlegt. Die genetischen Unterschiede zwischen den Menschen sind weit geringer, als die Nationalsozialisten angenommen hatten. Doch leider deckten Biologen das erst sehr spät auf. Um das Jahr 1933 war die Rassentheorie noch sehr en vogue. Viele Angehörige der westlichen Elite glaubten felsenfest an die Existenz verschiedener menschlicher Rassen. Auch an die Überlegenheit der weißen Rasse und daran, dass man sie schützen muss. Selbst nach dem Zweiten Weltkrieg hielt sich dieser Glaube wacker aufrecht.
In Amerika war bis in die 1960er Jahre der Glaube an die Überlegenheit der weißen Rasse fester Bestandteil der Politik. Schwarze durften weder wählen noch Hochschulen besuchen. In Australien herrschte bis 1973 die White-Australia-Politik. Einwanderung von Nicht-Weißen wurde eingeschränkt und die Ureinwohner Australiens bekamen erst in den 1960er Jahren die gleichen Rechte.
Aktuell glaubt keiner mehr ernsthaft an die Überlegenheit von Blonden. Outet man sich dennoch als Rassist, gibt man sich der Lächerlichkeit preis. Man darf schließlich nicht vergessen, dass der Rassismus eine wissenschaftliche Theorie war, die man biologisch zu beweisen versuchte. Doch da die Biologie die Theorie widerlegte, musste der Rassist die Weltbühne mit lauten Buhrufen verlassen. Das war sein Ende.
Aber hat deswegen die Diskriminierung nachgelassen?
10 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank für die hingebungsvolle und aufschlussreiche Arbeit.
Ein wirklich ganz toller und sehr bedeutsamer Artikel.
Vielen Dank für die nette Worte:)
Ein sehr schöner Artikel! Der Artikel hat den gesellschaftlichen politischen Trend auf den Punkt gebracht. Ich hab das Ganze anfänglich eher als Wiedergeburt des Patriotismus empfunden, da die Menschen auf einmal stolz auf ihre Nation sind ohne wirkliche Gründe benennen zu können,ausser natürlich die Werte, die sie beibrhalten und schützen wollen… Aber da dasselbe Phänomen ja in vielen europäischen Ländern auftritt,ist der Begriff Kulturarist viel besser geeignet als pauschal zu sagen,dass man ein Patriot wäre…oder würden Sie Patriot auch unter ihrem Begriff fassen?
Des Weiteren finde ich es interessant,dass in Deutschland zurzeit auch unter den Bürgern mit Migrationshintergrund dasselbe Phänomen auftritt, die Türken sind auf ihr Land stolz,die Kurden sind auf sich stolz,Afghanen,Albaner, Italiener etc…obwohl sie zum größtenteil hier aufgewachsen sind,nie in ihrem Land waren und die Sprache zum größten Teil nicht mehr beherrschen…..finde ich persönlich verwunderlich,da dadurch sich jede Gruppe von anderen abgrenzt und am Ende gar keine Kommunikation stattfindet,was für ein demokratisches Land, wo nur durch Meinungsaustausch ein Verständnis entsehen und Demokratie weiter ausgelebt werden kann…
PS: Ich finde die Seite super toll und auch das Konzept hier! Aber leider have ich nirgends rausfindeb können,was jetzt Keschmesch bedeutet…
Hey Nilab,
danke erstmal für deine tolle Rückmeldung. Ich freue mich immer, wenn mir die Leute ihre Gedanken mitteilen. So weiß ich, dass sie der Text noch zu weiteren Gedanken angeregt hat. Zu deinen Fragen: Ursprünglich sollte Keschmesch (Persisch “Rosinen”) die Rosinen der Literatur herauspicken. Wir haben damals größtenteils Bücher rezensiert. Das hat sich mit dem neuen Konzept von Keschmesch verändert. Jetzt aber beschäftigen wir uns mit all die Dingen, die uns inspirieren und interessieren. Also sorry für die Verwirrung.
Bezüglich deiner zweiten Frage: Ja, ich sehe durchaus einen Zusammenhang zwischen den Begriffen “Kulturalismus” und “Patriotismus” . Auf der letzten Seite mache ich das durch den Satz “Naja, wie soll man es sagen: Kulturalisten lieben halt ihr Land.” deutlich. Ich würde dir sehr empfehlen, die Artikel https://keschmesch.de/sprache-das-gebrochene-versprechen/ und https://keschmesch.de/neue-geschichten-erzaehlen/. Da spreche eben über diese Abspaltung von Deutschen mit Migrationshintergrund (schreckliches Wort).
Liebe Grüße
Massoud
Danke für die schnelle Antwort!
Anmerkung: Das Wort “Migrationshintergrund” ist wirklich nicht schön…anderes Wort fällt mir nicht ein..außer vllt. ” Multikulti- Deutscher”…klingt aber auch nicht besser..
LG
Stimmt auch wieder haha
Ich versuche mit meinem bescheidenen Deutsch zu kommentieren.
Ich muss zugeben, dass dein Schreibstil mir gefällt, leider den Inhalt zum großteil nicht. Erstens, die Angst vorm Islam ist total berechtigt, wenn du einen Zweifel hast, sollst du dann den Coran lesen. welchen habe ich mehr als sechs mal komplett ausgelesen, auf seine Ursprungliche Sprache, die auch meine Muttersprache ist. Und finde solche Kapitel extrem gefährlich. Es ist leider schwarz auf weiß seit 14 Jahrehundert geschrieben, obwohl es dir nicht gefällt! Der Islam ist ein ziemlich sextische und gewältige Religion aber auch friedlich und tolerant. Und das ist leider das große Problem.
Genau dewegen, weil mir die Gefahr des Islams sehr bewusst, habe davor auch Angst, und bin dafür, dass die Muslims sich hier einleben in dem Sinn, an die Regeln zu halten und ihre Religion individuel ausüben ohne sie durchsetzen zu wollen.
Hallo Samah,
ich bin ein wenig verwirrt, dass du über den Islam redest, obwohl ich hier lediglich den Terrorismus am Ende kurz behandle. Anders gesagt, dass ist gar nicht mein Thema, deswegen weiß ich nicht, worauf deine Kritik hinausläuft. Mir geht es lediglich um den Wandel von Rassismus zum Kulturalismus, was überall auf der Welt zu beobachten ist (sowohl im muslimischen wie in christlichen Ländern). Wenn du dir die Mühe gemacht hättest und dir mal die Bibel oder die Tora zu Gemüte geführt hättest, würdest sehen, dass sie sich an Brutalität und Frauenfeindlichkeit keine Blöße geben. Im 21. Jahrhundert stirbt der Durchschnittsmensch mit weit größerer Wahrscheinlichkeit, weil er sich mit McDonald`s vollstopft, als durch Dürre, Ebola oder einen Anschlag von Al-Qaida. Das ist beängstigend.
Wow, echt gut geschrieben.
Ich muss sagen am Anfang war ich ein wenig verwirrt mit der Bezeichnung “prominentesten Intellektuellen”.
Das hat mich aber wiederum motiviert weiterzulesen.
Der Artikel zeigt, wie schnell sich Menschen instrumentalisieren lassen können. Da ist man plötzlich Feuer und Flamme für Dinge, die eigentlich total komisch erscheinen, wenn man sie hinterfragt. Ich wünsche einfach allen mehr Gelegenheiten für Austausch, Begegnung, Offenheit…
Hey Özcan, danke für deine Rückmeldung. Freut mich, dass es dir gefallen hat:)