Kulturalismus ist der neue Rassismus
Kein rechter Politiker, seien es die Le Pens in Frankreich, die Gaulands in Deutschland oder die Trumps in den USA, argumentiert heute rassistisch. Selbst wenn hier und da ein Ausrutscher vorkommt, ist das eher die Ausnahme. Heute herrscht ein anderes Argument vor, das uns zwar an den Rassismus erinnert, aber eben anders funktioniert: der Kulturalismus.
Dieses Wort ist nicht sehr bekannt, aber wie einige Forscher finden, sollte es das sein. Denn er beschreibt den Ursprung heutiger Diskriminierung viel besser als Rassismus. Der Kulturalist ist nicht gegen die Einwanderung, weil die Flüchtlinge schlechte Gene mit sich bringen. Sondern weil sie eine Kultur (gerne ersetzt man Kultur auch mit Werten) nach Europa holen, die angeblich schädlich sei. Die jüdisch-christliche Kultur sei von Toleranz und der Gleichheit der Geschlechter geprägt. Und natürlich der Kultur des Nahen Ostens mit ihrer autoritären Politik und Frauenhass weit überlegen.
Man beachte, wie hierbei die „jüdische“ Kultur in die Argumentation eingeschlossen wird. Die Kultur eines Volkes, das man in Europa fast komplett ausgerottet hat. Die palästinensische Kultur hat wahrscheinlich mehr mit der jüdischen gemein, als es die französische, deutsche oder englische je haben könnten.
Kulturalisten lieben ihr Land
Für einen Biologen ist es heute sehr einfach, Abstand vom Rassismus zu nehmen. Nichts spricht mehr für ihn. Doch für Anthropologen, Geistes- und Sozialwissenschaftler ist es schwieriger, sich vom grassierenden Kulturalismus zu distanzieren. Denn es gibt ja offensichtliche Unterschiede zwischen den Kulturen. Ohne es zu wollen, unterfüttern diese Disziplinen kulturalistische Thesen, denen zufolge eine bestimmte Kultur besser sei als alle anderen. Politiker stürzen sich mit Freuden darauf und reden fortwährend davon, wie sie ihre Kultur beschützen müssen. Oder wie sehr unsere Werte in Gefahr seien.
Naja, wie soll man es sagen: Kulturalisten lieben halt ihr Land. Und als anständiger Kulturalist ist man liberal, individualistisch, emanzipatorisch und areligiös. Kulturalisten wettern gern gegen den islamischen Fanatismus. Und sie können es gar nicht fassen, warum diese Dummköpfe auf Freiheit, Gleichheit und Wohlstand verzichten. Bestimmt hat das was mit dem Islam zu tun und dem Wunsch, als Märtyrer zu sterben, schlussfolgern kluge Kulturalisten. Doch eine wirkliche Erklärung für das Wesen des Fanatismus liefert diese Antwort nicht. Sie beruht eher auf dem Glauben, die westliche Tradition sei schon immer liberal, antireligiös, emanzipatorisch und individualistisch gewesen. Doch das hat mit der Wahrheit herzlich wenig zu tun.
Konzentrieren wir uns lieber auf den Kulturalisten.
Der Terrorismus dient den Kulturalisten gern als Beweis dafür, dass der Islam gefährlich sei und wir uns davor schützen müssen. Schließlich hätten moderne Gesellschaften mit Terrorismus sonst nie ein Problem gehabt. Okay, da gab es mal die kommunistische RAF, aber diese Leute waren doch Ausnahme. Ja, gut, auch die ETA in Spanien ist extrem fanatisch, aber Spanien liegt ja ganz weit im Süden. Und natürlich die IRA, eine fanatische, christliche irische Terrorgruppe.Seit den 1970er Jahren verübt sie in England und Irland ununterbrochen Bombenanschläge. Zugegeben, diese Gruppen gab und gibt es teilweise noch. Trotzdem haben sie nichts mit der aufklärerischen Kultur des Westens gemein, wehren sich die Kulturalisten hartnäckig. Das sind halt Ausnahmen. Alles Ausnahmen!
Hört man einem Kulturalisten zu, hat man fast das Gefühl, dass die Weltkriege nur ein böser Albtraum waren. Eine kleine Episode, in der ansonsten glanzvollen Geschichte Europas. Wenn sie von Werten sprechen, scheint es einem, als seien Toleranz, Gleichheit und Emanzipation schon immer in Europa angelegt gewesen. Als würden sie irgendwie doch von Genen reden, nur sagen sie es nicht. Damit konnten schon die Rassisten punkten.
Kulturalistische Meinungen sind heute hoch im Kurs und werden so schnell nicht verschwinden. Kommt man aus der falschen Kulturecke hat man eben die Arschkarte gezogen. Mit dem armen Rassisten hat das aber wenig zu tun. Wir müssen anfangen, den Rassisten zu vergessen. Mit dem Trottel ist es vorbei. Konzentrieren wir uns lieber auf den Kulturalisten.
10 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Vielen Dank für die hingebungsvolle und aufschlussreiche Arbeit.
Ein wirklich ganz toller und sehr bedeutsamer Artikel.
Vielen Dank für die nette Worte:)
Ein sehr schöner Artikel! Der Artikel hat den gesellschaftlichen politischen Trend auf den Punkt gebracht. Ich hab das Ganze anfänglich eher als Wiedergeburt des Patriotismus empfunden, da die Menschen auf einmal stolz auf ihre Nation sind ohne wirkliche Gründe benennen zu können,ausser natürlich die Werte, die sie beibrhalten und schützen wollen… Aber da dasselbe Phänomen ja in vielen europäischen Ländern auftritt,ist der Begriff Kulturarist viel besser geeignet als pauschal zu sagen,dass man ein Patriot wäre…oder würden Sie Patriot auch unter ihrem Begriff fassen?
Des Weiteren finde ich es interessant,dass in Deutschland zurzeit auch unter den Bürgern mit Migrationshintergrund dasselbe Phänomen auftritt, die Türken sind auf ihr Land stolz,die Kurden sind auf sich stolz,Afghanen,Albaner, Italiener etc…obwohl sie zum größtenteil hier aufgewachsen sind,nie in ihrem Land waren und die Sprache zum größten Teil nicht mehr beherrschen…..finde ich persönlich verwunderlich,da dadurch sich jede Gruppe von anderen abgrenzt und am Ende gar keine Kommunikation stattfindet,was für ein demokratisches Land, wo nur durch Meinungsaustausch ein Verständnis entsehen und Demokratie weiter ausgelebt werden kann…
PS: Ich finde die Seite super toll und auch das Konzept hier! Aber leider have ich nirgends rausfindeb können,was jetzt Keschmesch bedeutet…
Hey Nilab,
danke erstmal für deine tolle Rückmeldung. Ich freue mich immer, wenn mir die Leute ihre Gedanken mitteilen. So weiß ich, dass sie der Text noch zu weiteren Gedanken angeregt hat. Zu deinen Fragen: Ursprünglich sollte Keschmesch (Persisch “Rosinen”) die Rosinen der Literatur herauspicken. Wir haben damals größtenteils Bücher rezensiert. Das hat sich mit dem neuen Konzept von Keschmesch verändert. Jetzt aber beschäftigen wir uns mit all die Dingen, die uns inspirieren und interessieren. Also sorry für die Verwirrung.
Bezüglich deiner zweiten Frage: Ja, ich sehe durchaus einen Zusammenhang zwischen den Begriffen “Kulturalismus” und “Patriotismus” . Auf der letzten Seite mache ich das durch den Satz “Naja, wie soll man es sagen: Kulturalisten lieben halt ihr Land.” deutlich. Ich würde dir sehr empfehlen, die Artikel https://keschmesch.de/sprache-das-gebrochene-versprechen/ und https://keschmesch.de/neue-geschichten-erzaehlen/. Da spreche eben über diese Abspaltung von Deutschen mit Migrationshintergrund (schreckliches Wort).
Liebe Grüße
Massoud
Danke für die schnelle Antwort!
Anmerkung: Das Wort “Migrationshintergrund” ist wirklich nicht schön…anderes Wort fällt mir nicht ein..außer vllt. ” Multikulti- Deutscher”…klingt aber auch nicht besser..
LG
Stimmt auch wieder haha
Ich versuche mit meinem bescheidenen Deutsch zu kommentieren.
Ich muss zugeben, dass dein Schreibstil mir gefällt, leider den Inhalt zum großteil nicht. Erstens, die Angst vorm Islam ist total berechtigt, wenn du einen Zweifel hast, sollst du dann den Coran lesen. welchen habe ich mehr als sechs mal komplett ausgelesen, auf seine Ursprungliche Sprache, die auch meine Muttersprache ist. Und finde solche Kapitel extrem gefährlich. Es ist leider schwarz auf weiß seit 14 Jahrehundert geschrieben, obwohl es dir nicht gefällt! Der Islam ist ein ziemlich sextische und gewältige Religion aber auch friedlich und tolerant. Und das ist leider das große Problem.
Genau dewegen, weil mir die Gefahr des Islams sehr bewusst, habe davor auch Angst, und bin dafür, dass die Muslims sich hier einleben in dem Sinn, an die Regeln zu halten und ihre Religion individuel ausüben ohne sie durchsetzen zu wollen.
Hallo Samah,
ich bin ein wenig verwirrt, dass du über den Islam redest, obwohl ich hier lediglich den Terrorismus am Ende kurz behandle. Anders gesagt, dass ist gar nicht mein Thema, deswegen weiß ich nicht, worauf deine Kritik hinausläuft. Mir geht es lediglich um den Wandel von Rassismus zum Kulturalismus, was überall auf der Welt zu beobachten ist (sowohl im muslimischen wie in christlichen Ländern). Wenn du dir die Mühe gemacht hättest und dir mal die Bibel oder die Tora zu Gemüte geführt hättest, würdest sehen, dass sie sich an Brutalität und Frauenfeindlichkeit keine Blöße geben. Im 21. Jahrhundert stirbt der Durchschnittsmensch mit weit größerer Wahrscheinlichkeit, weil er sich mit McDonald`s vollstopft, als durch Dürre, Ebola oder einen Anschlag von Al-Qaida. Das ist beängstigend.
Wow, echt gut geschrieben.
Ich muss sagen am Anfang war ich ein wenig verwirrt mit der Bezeichnung “prominentesten Intellektuellen”.
Das hat mich aber wiederum motiviert weiterzulesen.
Der Artikel zeigt, wie schnell sich Menschen instrumentalisieren lassen können. Da ist man plötzlich Feuer und Flamme für Dinge, die eigentlich total komisch erscheinen, wenn man sie hinterfragt. Ich wünsche einfach allen mehr Gelegenheiten für Austausch, Begegnung, Offenheit…
Hey Özcan, danke für deine Rückmeldung. Freut mich, dass es dir gefallen hat:)