Das Interview führt Massoud Doktoran (MD) mit seinem Helden Amir (A) aus dem Roman „Brenn, Schule, brenn!“.
Es ist zwei Uhr am Nachmittag, Amir sitzt mit seinen Geniefreunden auf einer Tischtennisplatte. Er winkt mich lächelnd zu sich. Die Geniefreunde entfernen sich.
A: Haste kein Mikro?
MD: Das ist ein fiktives Gespräch. Strenggenommen findet es gar nicht statt.
A: Kein Mikro, kein Interview. Sorry, das mach ich nicht. Selbst bei Gericht hatten sie Mikros.
MD: Guck mal, was ich in meiner Tasche gefunden hab, dein Mikro!
A: Schon besser.
MD: Also los.
A: Wir reden doch jetzt nicht über Schulen, oder? Bitte nicht, das würde die Leser nur langweilen.
MD: Findest du? Das Buch handelt aber davon, wie du deine Schule in Brand setzt. Ich denke, wenn wir das gut aufbauen, könnte es die Leute interessieren.
A: Vergiss es.
MD: Okay … aber erzähl zumindest, wie du auf den Schulbrand gekommen bist?
A: Du meinst, wie ich zu meiner für uns alle notwendigen Revolution gekommen bin?
MD: Genau, deine Revolution. Wie kam’s dazu?
A: Lange Geschichte. Erzähl ich dir ein andermal.
MD: Aber wir sind doch …
A: Find’s außerdem scheiße, dass du mich fürs Marketing deines Buches ausnutzt. Haste keine Freunde?
MD: Komm schon, das ist wichtig für uns.
A: Bekomm ich Cash?
MD: Du bist ein Fantasieprodukt, Amir.
A: Was für ’n Geier.
MD: Sei nicht so. Die Leute wollen dich erst kennenlernen, bevor sie das Buch kaufen.
A: Na gut, nur weil du’s bist. Lass aber bitte nicht über Schulen reden. Glaub mir, niemand will das hören. Ich kenn die Leute. Brauchst nur „Bildungssystem“ zu sagen und sie begehen vor Langeweile Selbstmord. Hab alles probiert, sogar meine Schule verbrannt. Glaubste, das hat die interessiert? Dabei wollte ich sie retten, ihnen zeigen, wie ihre Leidenschaft in diesen hässlichen Fabriken zugrunde geht. Hatte eine echte Vision für Deutschland, richtig zukunftsorientiert. Glaubste, die haben mir zugehört?
MD: Du warst deiner Zeit voraus.
A: Hey, mach dich nicht lustig über mich. Hab mir echt Mühe gegeben.
MD: Naja, eigentlich hast du ein Streichholz benutzt.
A: Hättest du die Eier dazu?
MD: Nein.
A: Wieso hältst du dann nicht Schnauze!
MD: Kraftausdrücke sind auch so ein Ding im Buch. Viele Leserinnen und Leser könnte das abschrecken.
A: Was soll ich sagen, Massoud? Poesie ist nicht jedermanns Sache. Willste meine Theorie dazu hören?
MD: Schieß los.
A: Ich führ’s auf Bücher zurück, die wir in der Schule gelesen haben. Ich meine, ganz ehrlich, soll ich etwa wie Nathan der Weise reden? Scheiße, vergiss es! Lass dir bloß nichts einreden. Da, wo ich zur Schule gehe, redet man so. Gute Bücher bilden das ab. Reine Poesie, so wahr mir Gott helfe.
MD: Du gehst auf die Hauptschule –
A: – Ich war auch aufm Gymnasium.
MD: Weiß ich doch, wollte dich nicht herabsetzen oder so. Ich war selbst mal auf der Hauptschule.
A: Ah okay … meine Freundin macht das gern. Mich mit diesem Hauptschulding herabsetzen, mein ich. Geht mir voll auf den Sack, als könnte ich intellektuell mit ’nem Scheißgymi nicht mithalten. So ’n Schwachsinn.
MD: Wusste gar nicht, dass du mit Yasmin zusammengekommen bist.
A: Wir sind nicht zusammen.
MD: Aber du hast doch eben von deiner Freundin gesprochen.
A: Sie steht auf mich, sind aber nicht zusammen.
MD: Alles klar, können wir …
A: Zurzeit ignoriere ich sie, bis sie mir nachläuft. Hab da so ’n Plan.
MD: So wie ich Yasmin kenne, hat sie dich bestimmt abserviert.
A: Woher weißt du das?!
MD: Erzähl uns was von deinem Gedicht.
A: Du … du hast doch … du hast doch etwa nicht … du abgefuckter Wichser! Haste mein Gedicht in dein beschissenes Buch getan?
MD: Es hatte poetische Momente, Amir.
A: Du räudiger Hund, du elender räudiger Hund.
MD: …tschuldigung …
A: Egal, vielleicht werden ja deine tollen Leser das Genius dieser tiefsinnigen Verse erkennen.
MD: Zweifle keine Sekunde daran.
A: Willste die Jungs kennenlernen?
MD: Es soll ein kurzes Interview wer…
A: Hey Jungs! Kommt mal kurz! (ruft) Nur kurz. Das ist der Typ, der über uns geschrieben hat. Krass, ne?!
(Sie winken ab und Nima ruft: „Sag Bescheid, wenn der Film raus ist.“)
A: Sorry, Mann. Die stehen nicht so auf Bücher.
MD: Kann man nichts machen.
A: Der da rechts ist Nima, unser Mathegenie, daneben kommt Joe, der größte Wissenschaftler auf unserem Planeten, und neben ihm ist Timuçin. Wenn die Mona Lisa noch nicht gemalt wäre, hätte Timuçin sie krasser hinbekommen. Hundertpro.
MD: Ihr seid alle auf der Hauptschule.
A: Fick dich, was soll das heißen „Ihr seid alle auf der Hauptschule“? Das sind Genies, Mann! Was kann ich denn dafür, dass sie mit zehn Jahren von unserer Grundschullehrerin, auch bekannt als „das Monster“, ausselektiert wurden?
MD: Sollte keine Beleidung sein. Außerdem war ich selbst …
A: Jajajaja komm, is gut. Weißt du, darum ging’s beim Schulbrand nämlich auch. Wir teilen Kinder in Schulformen ein und später müssen sie sich von Wichsern wie dir Herablassungen gefallen lassen.
MD: Es ist also ein politisches Buch.
A: Was hab ich denn mit Politik zu tun? Was redest du jetzt von Politik?
MD: Aber du hast doch von Schulformen geredet und wie Zehnjährige durch Selektion …
A: Du hörst mir gar nicht zu! Hat doch mit Politik nichts zu tun. Außerdem stellst du mir nicht mal richtige Fragen, sondern kommentierst immer so seltsam.
MD: Du hast vollkommen recht. Also hier eine Frage: Was hat diese fantastische Ebene in deiner Geschichte verloren? Ich meine der geheimnisvolle Salon, Alfred der Torwächter, etwas übertrieben, oder?
A: Sieht original aus wie Batmans Butler, oder? Alfred mein ich. Original, oder?
MD: Ehm, ja, also, war jetzt nicht meine Frage, aber wieso musstest du diese Fantasy-Ebene reinbringen?
A: Bist du doof? Das war nicht erfunden!
MD: Komm schon. Deutsche Leser mögen es nicht, wenn sich Genres vermischen. Entweder Fantasy oder Realismus. Damit wirst du vielleicht Leser vergraulen.
A: Erstens, nichts ist da erfunden! Alfred gibt es wirklich. Zweitens ist die Realität die langweiligste Sache auf der Welt. Kann dem Hype um Realismus echt nichts abgewinnen. Schau mal, dein Buch ist doch ein Roman, oder nicht?
MD: Ja.
A: Also erfunden! Wo ist das Problem? Ist doch krank diese Realitätsbesessenheit. Mein Leben ist beschissen genug, muss nicht noch in Büchern davon behelligt werden. Verstehste? Ich steh auf Romane, die mich in eine andere Welt mitnehmen, ich meine, bei mir tauchen jetzt keine Orks oder Elfen auf. Aber scheiße, von mir aus könnten da welche herumlaufen, fuck it. Solange es Spaß macht und du’s nicht total verkackst, ist doch alles gut.
MD: Find ich überzeugend.
A: Gibst dir gern selbst recht, wa? Hast mir einfach so die Worte in den Mund gelegt und dir am Ende auf dir selbst einen runtergeholt.
MD: Themawechsel. Können wir noch kurz über das Genre-Problem reden? Welches Genre hat die Story?
A: Is so ’n Smoothie-Ding.
MD: Ja, aber die Leute brauchen Klarheit.
A: Dann eben Romance.
MD: Das kannst du mir nicht antun.
A: Sorry Massoud, aber es ist ’ne Liebesgeschichte. Ich weiß, du wolltest ’nen megaausgeklügelten Klassiker schreiben, aber am Ende hast du nur eine schnulzige, übertrieben kitschige Liebesgeschichte zustande gebracht. Muss echt hart für dich sein.
MD: Du willst mich ruinieren.
A: Nimm mein Gedicht raus und ich werd dich mit Kafka vergleichen.
MD: Keine Chance.
A: Das Interview ist beendet!
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