Gib Menschen lange genug das Gefühl, dass sie nicht dazugehören, und du hast sie verloren.
Wenn wir wieder über Integration, Rassismus und Diskriminierung reden und man kaum ein Nachrichtenportal öffnen kann, ohne von diesen Themen bombardiert zu werden, beschleicht mich ein komisches Gefühl. Das Gefühl, dass wir etwas Wesentliches vergessen haben. Wieder in einer Sackgasse gelandet sind. Ewig dasselbe Spiel spielen.
Kunst und Integration
Vor einigen Monaten war ich zum ersten Mal in München. Björn, Babak und ich gaben einen Schreibworkshop, und am Abend sollte es eine Diskussionsrunde geben unter der Überschrift „We don’t intergrate, we recreate“.
Das MFI, „Münchner Forum für Islam“, ist eine nette, kleine Organisation, die uns den Aufenthalt so gemütlich wie möglich gestaltete. Erkan, der Veranstalter, zeigte uns am Tag unserer Ankunft die Räumlichkeiten und stellte uns das Team vor.
Als wir am Abend den Saal betraten, waren die meisten Gäste schon da. Die Stühle hatte man um die Mitte des Raumes gestellt. Ich ergatterte einen Platz in der zweiten Reihe. Vor der Diskussionsrunde gab es eine Musik-Session mit einer Münchner Rap-Gruppe. Über WhatsApp schaltete ich meinen Bruder dazu, der auch Rapper ist, und wir feierten die Jungs ab.
Danach nahm Hanan aus dem Veranstaltungsteam das Mikro in die Hand, bedankte sich bei den Rappern und rief nacheinander alle Diskutanten in die Mitte des Raumes.
Bei der Comedian Idil Baydar war der Applaus am größten. Anscheinend war ich der einzige, der sie nicht kannte. Am Tag zuvor hatte ich mir zwei YouTube-Videos von ihr angesehen. Die Kunstfigur Jilet, auf der Idil Teile ihrer Karriere aufgebaut hatte, war eine Persiflage des türkischen Assi-Mädchens, wie ich sie schon tausendmal gesehen hatte und die mir etwas Bauchschmerzen bereitete.
Irgendwie freute ich mich trotzdem auf den Panel. Hanan und Erkan waren die Moderatoren des Abends.
„Wir wollten diesmal eine echte Diskussion anstoßen, bei der es ruhig etwas härter zugehen kann“, meinte Erkan und schaute dabei in die Runde.
Okay, dann mal los.
Hiba, eine Fotografin aus Österreich, Waseem, ein Rapper aus München, Jilet, eine Comedian aus Berlin, und Babak.
Es musste einfach Blut fließen.
„Wie seht ihr eure Rolle als Künstlerinnen und Künstler in der deutschen Gesellschaft?“ Erst verstand keiner, wie das gemeint war. Glücklicherweise begann Waseem, indem er klarstellte, dass er sich gar nicht so sehr als Künstler begreife, sondern vielmehr als Aktivist. Und außer Babak fanden auch die anderen alle, dass diese Bezeichnung besser zu ihnen passte. Fast kam es mir wie ein moralisches Bekenntnis vor.
Aktivist sein war voll in.
„Inwiefern beeinflusst das eure Arbeit?“
Hiba war dran. Ein außergewöhnliches Bild von ihr hing im Raum: eine weibliche Silhouette mit Kopftuch und im Hintergrund breitete sich ein orientalischer Teppich aus. Die Ästhetik des Bildes war gut gelungen und mir gefiel es auf Anhieb. Schaute ich aber länger darauf, schien mir die politische Message etwas zu viel Raum einzunehmen. Die Frau im Kopftuch, die auf ihren kulturellen Hintergrund reduziert wird. Auf das Orientalische, auf den Islam.
Ich verstand, was Hiba meinte, als sie sagte: „Meine Arbeit ist von meinem Umfeld geprägt und automatisch politisch.“ Hiba trug ebenfalls ein Kopftuch. Sie reichte das Mikro an Babak weiter.
„Ich hab nichts gegen politischen Aktivismus, aber ich finde, Künstler sollten sich auf ihre Werke konzentrieren. Egal, wie sehr das gesellschaftliche Umfeld einen wo auch immer hinschieben möchte. Wichtig ist die Arbeit selbst und die Hingabe des Künstlers.“
Babak versuchte, die Diskussion in Richtung Kunst zu lenken, doch da wollte niemand hin. Schließlich war er unter Aktivisten.