Gewalt

„Nichts hat uns enger zusammengeschweißt als Gewalt“, sagt Leyla und deutet mit dem Zeigefinger auf ihre erste Narbe, die ihr Mama zugefügt hat, als sie sich weigerte, ungeschminkt rauszugehen. „Ich hockte so vor dem Spiegelschrank, als sie mein Gesicht dagegen schmetterte.“ Zärtlich gleitet Leylas Fingerkuppe über ihre vernarbte Augenbraue. „Sie hatte solchen Schiss, dass aus mir ne Hure wird.“ Ihr Kopf kippt nach hinten und Leyla lacht aus voller Kehle.

Vielleicht ist Gewalt nur eine andere Form der Fürsorge.

„Manchmal rauchte ich im Wohnzimmer oder kleidete mich extranuttig an, um sie zu provozieren. Mein Körper war das Eigentum, um das wir uns fetzten, aber auch der Grund, warum wir uns berührten. Küsse hätten Mamas Ohrfeigen nie ersetzt.“ Leyla drückt meine Hand auf zwei tiefe Wunden zwischen ihren Locken. Längst vergangene Liebesbeweise.

„Ist beim Boxen die Gewalt nicht auch eine Art von Bekenntnis? Sagen sich die Kämpfer nicht in Wirklichkeit: ‚Ich nehme dich wahr und deshalb vernichte ich dich.‘ Klar verletzen sie sich, aber egal sind sie sich nicht.“

Vielleicht ist Gewalt nur eine andere Form der Zuwendung.

„Mama ist tot und ich schleppe so viele Narben von ihr herum. Von den psychischen fange ich gar nicht erst an, den Terroranrufen, Stalkingaktionen, Schuldeinflößungen, Mobbingroutinen, Mama war eine großartige Mobberin! Gott, schaute sie gern auf andere herab!So viel Selbsthass könnten mir Männer nie geben. Patriarchat hin oder her. Gegen Mama kam niemand an.“ Leyla bettet ihre rechte Wange in die Armbeuge und das Lachen versiegt.

 „Manchmal, wenn ich schweißgebadet unter ihrem Gewicht zu ersticken drohte, schluchzte Mama unvermittelt. Sie weinte richtig heftig. So verletzlich war sie nur, wenn sie mich verletzte. Ich glaube, was ich sagen will, ist … irgendwie vermisse ich ihre Ohrfeigen.“    

Vielleicht ist Gewalt nur eine andere Form der Liebe.