Die Kultur verbietet, die Biologie nicht.
Im antiken Athen des 5. Jahrhunderts vor unserer Zeitrechnung fanden die Griechen, dass Frauen kein Wahlrecht und keine Schulbildung haben dürfen. Auch durften sie nicht Philosophinnen, Richterinnen oder politische Führerinnen werden. Ihr Aufgabenbereich beschränkte sich auf die Erziehung der Kinder und den Haushalt. Das war nur natürlich.
Der moderne Athener im Jahre 2018 findet hingegen das Frauenwahlrecht vollkommen normal, ihre Schulbildung eine Selbstverständlichkeit und Schranken für die Berufswahl eher unwahrscheinlich. Natürlich, was spricht auch dagegen?
Es liegt also nicht in unserer Natur, welche Rollen wir den Geschlechtern zuschreiben, sondern in unserer Kultur.
Die Natur schert sich nicht darum, welches Geschlecht welchen Berufen nachgeht. Und verbieten tut sie es schon gar nicht. Genauso ist es ihr so was von egal, ob Menschen das gleiche Geschlecht lieben, Kinder kriegen oder nicht.
Merksatz: Die Evolution verfolgt keine Absichten.
Das bedeutet, dass der Prozess des Lebens nicht voranschreitet, weil die Evolution etwas will. Ihre Entwicklung hängt vom Zufall und den Anforderungen ihrer Umwelt ab.
Die Organe der Menschen haben sich nicht zu einem bestimmten Zweck entwickelt und ihr Gebrauch ändert sich ständig. Kein einziges Organ unseres Körpers wird heute noch exakt so gebraucht wie zur Zeit seiner Entstehung vor Hunderten Millionen Jahren. Die Entwicklung von Organen hängt zunächst von den Aufgaben ab, die sie übernehmen sollen. Sobald sie aber existieren, können sie zusätzlich noch für ganz andere Dinge verwendet werden.
Nehmen wir den Mund als Beispiel. Er setzte sich durch, weil Vierzeller eine Möglichkeit brauchten, Nahrung aufzunehmen. Dazu benutzen wir den Mund immer noch, aber nebenbei auch zum Küssen, Sprechen oder Singen. Die Weisheitszähne haben dagegen ihre Funktion komplett verloren und werden regelmäßig gezogen. Ist das natürlich?
Hm … natürlich!
Schließlich ist alles, was möglich ist, definitionsgemäß auch natürlich. Eine unnatürliche Verhaltensweise, die den Gesetzen der Natur komplett widerspricht, kann es gar nicht geben. Weshalb es sinnlos wäre, sie zu verbieten. Oder hat sich je eine Kultur die Mühe gemacht, den Männern die Photosynthese oder den Frauen die Fortbewegung mit Lichtgeschwindigkeit zu verbieten? Nein, weil es sinnlos wäre.
Natürlich ist meistens keine biologische Kategorie, sondern eine kulturelle. Letzter Merksatz: Die Kultur verbietet, die Biologie nicht.
5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Der Artikel wirft viele Fragen auf …= super gelungen!
Erich Fromm sagt in „Haben und Sein“, dass der Sieg des Patriarchats über die matrizenteische Gesellschaft mit dem Auftreten der griechischen oder germanischen Heldenfigur in Zusammenhang steht. Er vergleicht den „christlichen Helden“ (= Märtyrer, der sein Leben für seine Mitmenschen opfert) und den „germanischen oder griechischen Helden“, dessen Erfüllung darin liegt, zu erobern, Macht und Ruhm anzuhäufen und der Beste im Töten zu sein. Erstere sieht Erfüllung im Geben und Teilen und Letztere im Zerstören und gewaltsam Erzwingen. Er sagt, dass die Herrschaft des Mannes über die Frau der erste Akt der Unterjochung und die erste ausbeuterische Anwendung von Gewalt ist.
Dass auch noch heute existierende Matriarchate keine Unterdrückung kennen, stellt einen super Kontrast zu unserem historisch bedingten Begriff von „Stärke“ oder „Macht“ dar. Ich pers. glaube auch, dass man den Begriff „Stärke“ wohl kaum aus dem Beziehungsgeflecht (Herrschaft, Gesellschaft etc.) entfernen kann, aber vielleicht schafft Mann oder Frau es diesen Begriff etwas umzudeuten.
Das ist zwar interessant, aber faktisch falsch. Und zwar tun sich einige historische Probleme auf. 1) Hatte die Unterjochung der Frauen schon viel früher beim König Hamurabi angefangen und steht in keinem direkten Zusammenhang mit den griechischen Helden. Die Blühtezeit der griechischen Antike mit ihren kriegerischen Götter kam viel später. 2) Dass der christliche Held auf dem Geben und Teilen beruht, hört sich bei Fromm immer so schön an. Die historische Wahrheit ist aber, dass das kaum bis gar nicht auf Frauen zutraf und auch nicht für Andersgläubige, oder geschweige denn Nicht-Gläubige. 3) Ob es der erste “Akt der Unterjochung” war, ist ebenfalls zu bezweifeln. Den Vortritt haben Tiere und die Natur, die als erste unter die Kontrolle der Menschen gelangten und ausgebeutet wurden. Warum patriarchale System so durchsetzungsfähig waren, ist keine einfache Antwort, weil Vieles in vorhistorischen Zeiten passiert sind. Also zu einer Zeit, worüber wir nur Mutmaßungen anstellen können. Danke für dein Feedback. Ich freue mich immer darauf:)
Die wahre Stärke versteckt sich hinter die Kraft der Geduld.
Männer können dominant, physische Stärke sowie Ausdauer in Körperlichkeiten besitzen.
Doch wer Schmerz und Leid mit sich erträgt, ist der stärkste.
Unabhängig vom Geschlecht ist jedes Individuum auf seine eigene Art und Weise stark.
Die Schwachen sind Spalter!
Vielen Dank für diesen lehrreichen Artikel bzw. Text.
Es ist schön und tut sehr gut jemandes geteilten Gedanken mit lesen zu dürfen!
Vielen Dank, شكريه!
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen:) Freut mich, dass es dir gefallen hat.
Balance ist im Zusammenhang mit dem Kampf der Geschlechter ein gelungener Ansatzpunkt. Geht es nicht um das ergänzende Zusammenspiel männlicher und weiblicher Kräfte, um das größtmögliche Potential für den Wandel zu erschließen. Da sich die Entwicklung sinnbildlich im Fluss befindet könnten jeweilige Schattenaspekte gegenwärtiger Herrschaften richtungsweisend für neue Kulturformen sein. Im Sinne von Ying und Yang tragen alle Menschen beide Aspekte in sich. Weibliche Gottheiten wie Kali denen Krieg und Zerstörung zugeschrieben wurde waren gleichzeitig Herrscherin über den Kreislauf des Lebens mit Geburt, Wachstum, Liebe, Tod und Wiedergeburt.