Sind Männer stärker?
Anspruchsvollere Theorien verfeinern die These von der natürlichen Überlegenheit des Mannes. Sie behaupten, dass Männer aufgrund ihrer Stärke die körperlich anspruchsvolleren Aufgaben wie Pflügen und Ernten an sich reißen konnten. Und mit der Kontrolle der Nahrungsmittelproduktion hätten sie sich die Macht gesichert.
Doch was meinen wir eigentlich, wenn wir behaupten, Männer seien stärker als Frauen?
Was die Muskelkraft betrifft, gehen wir von einem Durchschnitt aus. Nicht alle Frauen haben weniger Muskelkraft als Männer. Und im Allgemeinen sind Frauen widerstandsfähiger gegen Hunger, Krankheit und Erschöpfung.
In dieser Hinsicht sind Frauen also stärker als Männer. Und was die körperlich anspruchsvolleren Aufgaben betrifft, haben wir es ebenfalls mit einem Mythos zutun. Frauen mussten, weil sie lange Zeit von höherer Bildung ausgeschlossen waren, zum Teil öfter als Männer körperlich anstrengenden Tätigkeiten in Landwirtschaft, Industrie und Haushalt nachgehen.
Wenn also gesellschaftliche Macht aufgrund von körperlicher Kraft vergeben werden würde, dann müssten die Frauen locker mithalten.
Trotzdem könnte man behaupten, dass die Männer ihre größere Muskelkraft verwendet haben, um Frauen zu unterdrücken. Mag nicht jede Frau schwächer sein als jeder Mann, die überwiegende Mehrheit ist es trotzdem. Schließlich leiden selbst heute noch viele Frauen unter häuslicher Gewalt durch Männer.
Kann es also sein, dass die Organisation ganzer Gesellschaften auf der Verteilung von Muskelkraft basiert, die Hierarchien also auf körperlicher Gewalt gründen?
Die Rolle der Kooperation
Der bekannteste Primatenforscher, Frans de Waal, beschäftigte sich lange mit moralischem Verhalten bei Schimpansen und Menschen. In seinem Buch „Primaten und Philosophen“ kämpft er gegen das Bild des Menschen als ein böses und egoistisches Wesen an. Egal ob Mann oder Frau, für de Waal sind wir Menschen vor allem soziale Tiere und weit moralischer, als wir gemeinhin annehmen.
Denn es ist zwar richtig, dass körperliche Gewalt viel häufiger von Männern ausgeht als von Frauen, doch zum Überleben der Horde hat sie kaum etwas beigetragen. Die wichtigste Überlebensstrategie der Menschheit scheint nicht die Gewalt, sondern die Kooperation zu sein.
Menschen sind relativ schwache Tiere und sie brauchen sehr lange, bis sie in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Viel dringender als andere Hordentiere sind wir Menschen auf unsere Artgenossen angewiesen. Deshalb sieht de Waal die Menschen auch als soziale Tiere.
Außerdem zeigt er, dass sich gerade die aggressivsten Menschen am häufigsten in Gefahr bringen, früher sterben und für den Gruppenzusammenhalt den größten Störfaktor darstellen. So hätte sich der Homo Sapiens wahrscheinlich nie durchgesetzt.
Entwicklungsgeschichtlich bestanden Menschenhorden aus 50 bis 120 Mitgliedern. Das Überleben hing enorm von der sozialen Intelligenz und der Kooperation innerhalb der Gruppe ab.
Und anscheinend sind Frauen bei der sozialen Intelligenz den Männern überlegen. Mehrere Studien zeigen, dass Frauen öfter den sozialen Kontakt suchen und ihn auch langfristig besser pflegen. Die Neurowissenschaftlerin Louann Brizendine zeigt in ihrem Bruch „Das weibliche Gehirn“ eindrucksvolle Beispiele, wie Mädchen schon innerhalb der ersten Monate öfter den Augenkontakt suchen und stärker auf ihr Gegenüber reagieren als Jungs selben Alters.
Das Spiel der Macht
Die Wahrheit ist, dass Macht nicht allein und erst recht nicht hauptsächlich von körperlicher Stärke abhängt.
In den meisten Gesellschaften der Vergangenheit und auch in der Gegenwart herrschen Sechzigjährige über Zwanzigjährige. Obwohl Zwanzigjährige in der Regel körperlich stärker sind. Das trifft auf Wildbeuter-Gesellschaften in vorhistorischen Zeiten zu wie auf moderne Staaten.
Das Vorrecht der körperlich Stärkeren findet eher in den unteren Gesellschaftsschichten statt. Und oft im Privaten. Je höher man die Machtleiter erklimmt, umso unwichtiger wird körperliche Stärke. Viel eher gibt nämlich die soziale Intelligenz die Spielregeln der Macht vor. Gute Bündnisse und ein starkes soziales Netzwerk sind ausschlaggebend. Da Frauen darin anscheinend besser sind, ist es umso merkwürdiger, dass sich Matriarchate nicht durchgesetzt haben. Also Gesellschaften, in denen Frauen zentrale Rollen spielen,.
5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Der Artikel wirft viele Fragen auf …= super gelungen!
Erich Fromm sagt in „Haben und Sein“, dass der Sieg des Patriarchats über die matrizenteische Gesellschaft mit dem Auftreten der griechischen oder germanischen Heldenfigur in Zusammenhang steht. Er vergleicht den „christlichen Helden“ (= Märtyrer, der sein Leben für seine Mitmenschen opfert) und den „germanischen oder griechischen Helden“, dessen Erfüllung darin liegt, zu erobern, Macht und Ruhm anzuhäufen und der Beste im Töten zu sein. Erstere sieht Erfüllung im Geben und Teilen und Letztere im Zerstören und gewaltsam Erzwingen. Er sagt, dass die Herrschaft des Mannes über die Frau der erste Akt der Unterjochung und die erste ausbeuterische Anwendung von Gewalt ist.
Dass auch noch heute existierende Matriarchate keine Unterdrückung kennen, stellt einen super Kontrast zu unserem historisch bedingten Begriff von „Stärke“ oder „Macht“ dar. Ich pers. glaube auch, dass man den Begriff „Stärke“ wohl kaum aus dem Beziehungsgeflecht (Herrschaft, Gesellschaft etc.) entfernen kann, aber vielleicht schafft Mann oder Frau es diesen Begriff etwas umzudeuten.
Das ist zwar interessant, aber faktisch falsch. Und zwar tun sich einige historische Probleme auf. 1) Hatte die Unterjochung der Frauen schon viel früher beim König Hamurabi angefangen und steht in keinem direkten Zusammenhang mit den griechischen Helden. Die Blühtezeit der griechischen Antike mit ihren kriegerischen Götter kam viel später. 2) Dass der christliche Held auf dem Geben und Teilen beruht, hört sich bei Fromm immer so schön an. Die historische Wahrheit ist aber, dass das kaum bis gar nicht auf Frauen zutraf und auch nicht für Andersgläubige, oder geschweige denn Nicht-Gläubige. 3) Ob es der erste “Akt der Unterjochung” war, ist ebenfalls zu bezweifeln. Den Vortritt haben Tiere und die Natur, die als erste unter die Kontrolle der Menschen gelangten und ausgebeutet wurden. Warum patriarchale System so durchsetzungsfähig waren, ist keine einfache Antwort, weil Vieles in vorhistorischen Zeiten passiert sind. Also zu einer Zeit, worüber wir nur Mutmaßungen anstellen können. Danke für dein Feedback. Ich freue mich immer darauf:)
Die wahre Stärke versteckt sich hinter die Kraft der Geduld.
Männer können dominant, physische Stärke sowie Ausdauer in Körperlichkeiten besitzen.
Doch wer Schmerz und Leid mit sich erträgt, ist der stärkste.
Unabhängig vom Geschlecht ist jedes Individuum auf seine eigene Art und Weise stark.
Die Schwachen sind Spalter!
Vielen Dank für diesen lehrreichen Artikel bzw. Text.
Es ist schön und tut sehr gut jemandes geteilten Gedanken mit lesen zu dürfen!
Vielen Dank, شكريه!
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen:) Freut mich, dass es dir gefallen hat.
Balance ist im Zusammenhang mit dem Kampf der Geschlechter ein gelungener Ansatzpunkt. Geht es nicht um das ergänzende Zusammenspiel männlicher und weiblicher Kräfte, um das größtmögliche Potential für den Wandel zu erschließen. Da sich die Entwicklung sinnbildlich im Fluss befindet könnten jeweilige Schattenaspekte gegenwärtiger Herrschaften richtungsweisend für neue Kulturformen sein. Im Sinne von Ying und Yang tragen alle Menschen beide Aspekte in sich. Weibliche Gottheiten wie Kali denen Krieg und Zerstörung zugeschrieben wurde waren gleichzeitig Herrscherin über den Kreislauf des Lebens mit Geburt, Wachstum, Liebe, Tod und Wiedergeburt.