Gesellschaft der Frauen
Es gibt nicht mehr viele matriarchale Gesellschaften, aber noch genug, um uns eine Vorstellung davon zu verschaffen.
Mit einem Vorurteil muss jedoch schnell aufgeräumt werden: Matriarchate sind keine Frauenherrschaften, in denen es Männern schlecht geht. Frauen (vor allem Mütter) nehmen hier zwar eine zentrale Rolle ein und haben mehr Autorität, aber es geht nicht darum, dass ein Geschlecht über das andere herrscht. In dieser Gesellschaftsform strebt man eher ein Gleichgewicht innerhalb der Gemeinschaft an.
Balance ist hier das Stichwort.
Einige wenige Matriarchate wie die Minangkabau oder die Mosou existieren noch heute und scheinen recht gut zu funktionieren. Die Aufgabenbereiche sind klar unterteilt. Während die Frauen auf den Feldern arbeiten, die Kinder erziehen und den Handel übernehmen, fischen die Männer im Fluss und helfen bei den Bauarbeiten. Kein Geschlecht mischt sich in die Arbeit des anderen ein. Die Clanführerin sorgt für ein Gleichgewicht bei der Verteilung der Güter und tritt bei Konflikten als Schlichterin in Erscheinung. Anders als in Patriarchaten, die Frauen kaum eine relevante Rolle zugestehen, wird in Matriarchaten eher Konsens durch lange Verhandlungen gesucht. Dabei spielen Männer eine genauso wichtige Rolle wie Frauen.
Aber warum konnte sich diese Gesellschaftsform nicht durchsetzen? Die Antwort mag viele ernüchtern, weil sie eigentlich keine ist. Denn wir wissen es schlicht und ergreifend nicht.
Reine Spekulation
Es gibt Theorien, die behaupten, dass die meisten Gesellschaften einst matriarchal gewesen seien. Sie verweisen auf weibliche Götterstatuen, die sich irgendwann zu männlichen verändert hätten.
95 % der Menschheitsgeschichte haben wir Menschen als Jäger und Sammler gelebt. Über diese Zeit haben wir archäologische Befunde, die uns Indizien über das Leben unserer Vorfahren geben. Auch können wir Vergleiche mit heute lebenden Naturvölkern anstellen. Doch eine klare Antwort liefert das beileibe nicht. Es bleibt reine Spekulation.
Zumal in historisch gut belegten Zeiträumen Matriarchate kaum mehr eine Rolle spielen. Selbst vor dem Jahr 1492 waren die meisten Gesellschaften sowohl auf dem amerikanischen Doppelkontinent, etwa die der Azteken und Inkas, als auch in Afrika, Europa und Asien patriarchal. Das heißt, auch vor dem Kolonialismus. Dabei hatte die „Neue Welt“ Jahrtausende lang keinen Kontakt zum Rest der Welt.
Die älteste Rechtsschrift ist der 3800 Jahre alte Kodex von König Hammurabi. Der Text beginnt damit, dass die Götter Anu, Enlil und Marduk (allesamt Männer) Hammurabi berufen hatten, „um das Recht im Lande zur Geltung zu bringen, den Schlechten und Bösen zu vernichten, damit der Starke dem Schwachen nicht schadet.“ Die Rechtssprüche geben ein eindrückliches Bild darüber, wie Frauen vor dem Gesetz gesehen wurden. Sie galten als Eigentum. Freigeborene Männer durften natürlich alles.
Sein Ende naht
Warum sich die patriarchalen Geschichten durchgesetzt haben, bleibt also ein historisches Rätsel. Beide Geschichten – die patriarchale wie die matriarchale – weisen jedoch Frauen und Männern bestimmte Rollen zu.
Die moderne Geschichte über die Geschlechter ist eine Geschichte ohne Rollenverteilung. Jedenfalls ist es der Versuch, den wir mit dem Feminismus verbinden. Das Patriarchat kommt uns wie ein Rest überwundener Geschichte vor. Seine Herrschaft macht immer wenig Sinn und allmählich naht sein Ende. Seit dem 20. Jahrhundert vollzieht sich ein Wandel, der rasant voranschreitet. Und wir sind mittendrin.
5 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Der Artikel wirft viele Fragen auf …= super gelungen!
Erich Fromm sagt in „Haben und Sein“, dass der Sieg des Patriarchats über die matrizenteische Gesellschaft mit dem Auftreten der griechischen oder germanischen Heldenfigur in Zusammenhang steht. Er vergleicht den „christlichen Helden“ (= Märtyrer, der sein Leben für seine Mitmenschen opfert) und den „germanischen oder griechischen Helden“, dessen Erfüllung darin liegt, zu erobern, Macht und Ruhm anzuhäufen und der Beste im Töten zu sein. Erstere sieht Erfüllung im Geben und Teilen und Letztere im Zerstören und gewaltsam Erzwingen. Er sagt, dass die Herrschaft des Mannes über die Frau der erste Akt der Unterjochung und die erste ausbeuterische Anwendung von Gewalt ist.
Dass auch noch heute existierende Matriarchate keine Unterdrückung kennen, stellt einen super Kontrast zu unserem historisch bedingten Begriff von „Stärke“ oder „Macht“ dar. Ich pers. glaube auch, dass man den Begriff „Stärke“ wohl kaum aus dem Beziehungsgeflecht (Herrschaft, Gesellschaft etc.) entfernen kann, aber vielleicht schafft Mann oder Frau es diesen Begriff etwas umzudeuten.
Das ist zwar interessant, aber faktisch falsch. Und zwar tun sich einige historische Probleme auf. 1) Hatte die Unterjochung der Frauen schon viel früher beim König Hamurabi angefangen und steht in keinem direkten Zusammenhang mit den griechischen Helden. Die Blühtezeit der griechischen Antike mit ihren kriegerischen Götter kam viel später. 2) Dass der christliche Held auf dem Geben und Teilen beruht, hört sich bei Fromm immer so schön an. Die historische Wahrheit ist aber, dass das kaum bis gar nicht auf Frauen zutraf und auch nicht für Andersgläubige, oder geschweige denn Nicht-Gläubige. 3) Ob es der erste “Akt der Unterjochung” war, ist ebenfalls zu bezweifeln. Den Vortritt haben Tiere und die Natur, die als erste unter die Kontrolle der Menschen gelangten und ausgebeutet wurden. Warum patriarchale System so durchsetzungsfähig waren, ist keine einfache Antwort, weil Vieles in vorhistorischen Zeiten passiert sind. Also zu einer Zeit, worüber wir nur Mutmaßungen anstellen können. Danke für dein Feedback. Ich freue mich immer darauf:)
Die wahre Stärke versteckt sich hinter die Kraft der Geduld.
Männer können dominant, physische Stärke sowie Ausdauer in Körperlichkeiten besitzen.
Doch wer Schmerz und Leid mit sich erträgt, ist der stärkste.
Unabhängig vom Geschlecht ist jedes Individuum auf seine eigene Art und Weise stark.
Die Schwachen sind Spalter!
Vielen Dank für diesen lehrreichen Artikel bzw. Text.
Es ist schön und tut sehr gut jemandes geteilten Gedanken mit lesen zu dürfen!
Vielen Dank, شكريه!
Dem ist nichts mehr hinzuzufügen:) Freut mich, dass es dir gefallen hat.
Balance ist im Zusammenhang mit dem Kampf der Geschlechter ein gelungener Ansatzpunkt. Geht es nicht um das ergänzende Zusammenspiel männlicher und weiblicher Kräfte, um das größtmögliche Potential für den Wandel zu erschließen. Da sich die Entwicklung sinnbildlich im Fluss befindet könnten jeweilige Schattenaspekte gegenwärtiger Herrschaften richtungsweisend für neue Kulturformen sein. Im Sinne von Ying und Yang tragen alle Menschen beide Aspekte in sich. Weibliche Gottheiten wie Kali denen Krieg und Zerstörung zugeschrieben wurde waren gleichzeitig Herrscherin über den Kreislauf des Lebens mit Geburt, Wachstum, Liebe, Tod und Wiedergeburt.