Unsere Sprache spiegelt unserer Welt wider.
Durch sie sagen und zeigen wir mehr, als wir sagen und zeigen wollen. Schriftstellerinnen wissen das von Berufs wegen. Um ihren Charakteren Leben einzuhauchen, suchen sie sich die passende Sprache für sie aus. Mafiosi reden anders als Anwältinnen, anders als rechte Politiker, anders als Streetworker. Müssen anders reden. Sonst würden sie in ihrer Welt nicht überleben.
Ausgangspunkt der Political-Correctness-Bewegung (PC) ist scheinbar keine bestimmte Welt, sondern eine moralische Forderung. Sie erwächst aus der Einsicht, dass eine bestimmte Sprache diskriminierend und verletzend ist, weshalb man sie verbieten solle.
Für dieses Problem bietet sie als Lösung eine neutralere Sprechweise an, die eben politisch korrekt ist. Doch wie wirksam ist die PC-Sprache wirklich?
Wenn Minderheiten mitreden
Jede Integration führt zu Konflikten. Das gilt auch für die Sprache.
Darauf macht der Soziologe Aladin El-Mafaalani aufmerksam. Sein Buch „Das Integrationsparadoxon“ widerspricht der landläufigen These, Integration sorge für mehr Harmonie. Politiker werben ständig für Integration, um Konflikte (ethische, religiöse, soziale, geschlechtliche) aufzulösen. Das Problem ist nur: Je integrierter, gebildeter und engagierter Minderheiten werden, umso mehr Ansprüche stellen sie.
Sie wollen nicht nur geduldet werden, sondern dazugehören, mit allem Drum und Dran. Das löst keine Konflikte, das erzeugt sie erst.
El-Mafaalanis Tischmetapher verdeutlich das sehr eindrücklich. Stellt euch die deutsche Gesellschaft als einen großen Tisch vor. Tischmitglieder sind mit allen Rechten und Pflichten ausgestattet. Sie können Tischregeln bestimmen, Essenswünsche äußern und Gesprächsthemen vorschlagen. Ein Vollmitglied zu werden, ist verdammt hart. Erst hockt man auf dem Boden, isst, was man bekommt, redet, wenn man gefragt wird.
Öffnet sich die Tischgesellschaft Neuzugängen, verändert sich das Tischklima. So durften Frauen nach vielen Jahren endlich am Tisch sitzen. Nach und nach auch Minderheiten. Nun bestimmen sie die Tischregeln mit, äußern eigene Essenswünsche, frischen die Tischmanieren auf und bringen die Gesprächsthemen auf die Höhe der Zeit.
Plötzlich stehen sich unterschiedliche Interessen auf Augenhöhe gegenüber (Oh, mein Gott!). Frauen wollen über sexuelle Belästigung, Minderheiten über Rassismus und Diskriminierung reden (Was fällt ihnen ein!). Und nicht nur das. Sie wollen auch darüber bestimmen, wie man darüber redet (Also wirklich jetzt!).
Als sie noch auf dem Boden saßen, redete man über sie, wie man wollte. Das spiegelte sich in der Sprache der Zeitungen, Bücher, Fernsehersendungen und an Stammtischen wider. Eine Sprache, die die Macht der Tischmitglieder demonstrierte. Darauf haben die Neuen keinen Bock mehr.
Politische Korrektheit als politische Strategie
Vor dem Auge des Gesetzes sehen alle Bürger gleich hässlich aus. Jedenfalls der Theorie nach. Heute müssen Minderheiten jedenfalls nicht mehr für ihre Bürgerrechte auf die Straßen gehen und lange erklären, warum sie genauso viele Rechte verdienen wie weiße Männer.
Politisch sind wir alle (mehr oder weniger) Humanisten.
Natürlich gibt es weiterhin Diskriminierung, doch sie hat weniger mit dem Gesetz als mit dem Alltag der Betroffenen zu tun.
Dieser Umstand führt dazu, dass wir heute nicht mehr für neue Gesetze kämpfen, sondern für eine neue Sprache.
In den letzten Jahren setzte sich eine Fülle von Begriffen durch, die geschlechtliche, sexuelle und ethnische Minderheiten korrekter bezeichnen sollen. Es finden Seminare an Unis statt, es werden Workshops organisiert, bei den Texten gendert man fleißig. „Interkulturelle Sensibilisierung“ oder „Intersektionale/r Identität/Feminismus“ sind der letzte Schrei.
Die Sprachregel, so das hehre Ziel, solle die benachteiligten Gruppen besser repräsentieren, aber auch besser schützen.
Gerade Aktivisten aus Minderheiten-Communities engagieren sich zunehmend dafür und prangern über soziale Medien jene an, bei denen sie Rassismus wittern.
Obwohl ich meine Sympathie für diese Leute nicht bestreiten will, frage ich mich häufig, ob Sprachkritik der beste Weg sein kann, um ein gesellschaftliches Problem anzugehen. Ehrlich gesagt, erinnert es mich an die senilen CSU-/CDU-Politiker mit ihrem ewigen Appell, mehr Deutsch zu sprechen. Hat Sprachpolitik als Lösungsansatz je funktioniert? Oder anders gefragt: Ändert sich tatsächlich etwas, wenn Menschen ihre Sprache politisch regulieren? Nimmt Sexismus, Rassismus, Diskriminierung dadurch ab?
Ich hatte meine Zweifel.
Dreimal dürft ihr raten
In meinem Roman „Brenn Schule, brenn!“ gibt es eine Schlüsselszene, in der ich die Folgen von rassistischer Sprache an Grundschulen zeigen wollte. Mir ging es vor allem um den Schmerz eines kleinen Jungen, der versucht, seiner Lehrerin zu gefallen, und ihren Rassismus irgendwann satthat.
Mit meinem Zweifel geriet ich also in einen seltsamen Widerspruch. Wieso hatte ich ein ungutes Gefühl bei der PC-Bewegung, obwohl ich in meinem eigenen Roman auf dieselbe Sprachkritik zurückgegriffen hatte?
Als Schriftsteller werbe ich sehr für Sprachsensibilität, weiß aber auch, dass unsere Sprache von unserem Kontext bestimmt wird, Appelle wenig nützen und in bestimmten Milieus Sprachpolitik noch nie etwas gebracht hat. Trotzdem verstehe ich das moralische Argument.
Um herauszufinden, wo mein Problem lag, musste ich mich also genauer mit dem Phänomen auseinandersetzen. So besuchte ich Lesungen aus neu veröffentlichten Büchern zum Thema Rassismus und Heimat, las die Posts der Aktivistinnen auf Instagram, verfolgte ihre Debatten auf YouTube, konsumierte begierig jeden Blogbeitrag der BIPOCs. Und erst nach und nach fügten sich die Puzzleteile zusammen.
Eigentlich war es total simpel.
Innerhalb kürzester Zeit beherrschte eine bestimmte soziale Gruppe die PC-Sprache verdächtig gut. Sie kannte alle Labels für Minderheiten, kaufte ihre Bücher, klatschte in den Lesungen an den richtigen Stellen, trat nie ins Fettnäpfchen, verbesserte für ihr Leben gern die inkorrekte Sprache anderer und fühlte sich richtig wohl in ihrer überlegenen Rolle. Dreimal dürft ihr raten, von welcher Gruppe ich rede.
Die Spannung steigt … Na? Ach, ihr kommt ja doch nicht drauf.
Um auch mal das PC-Vokabular zu bedienen: Wir reden von der jungen, weißen, besserverdienenden, akademischen Schicht.
Gebildete mit Geld
Bist du progressiv denkend, verdienst gutes Geld und hast einen Uniabschluss (trinkst überteuerte Chai Latte, kaufst Bio, kleidest dich modisch, tust aber so, als verachtest du modische Oberflächlichkeit), dann gehörst du dieser wunderbaren Gruppe an. Gebildete mit Geld. Meine Hipster.
Wie ich darauf komme?
In einer umfassenden Studie haben sich die Forscher Stephen Hawkins, Daniel Yudkin, Miriam Juan-Torres und Tim Dixon des Phänomens „The Hidden Tribes“ angenommen.
Um Klarheit über die gesellschaftliche Spaltung Amerikas zu bekommen, schauten sie sich verschiedene politische Gruppierungen und ihre Weltanschauungen genauer an. In einem Teil der Studie untersuchte man die Verwendung der PC-Sprache in den unterschiedlichen Gruppen.
Etwas sehr Interessantes offenbarte sich in ihrer Arbeit. Ein Großteil der Minderheiten will mit der PC-Sprache nicht nur nichts zu tun haben, sondern sie sehen die Political Correctness als ein Problem (in Amerika mehr als 80 %!). Wohingegen eine kleine liberal-progressive Minderheit von weißen, reichen Aktivisten, auf die PC-Sprache geradezu besteht und lauthals dafür kämpft (8%). Mhm … seltsam. Sollten nicht eher Minderheiten jene Sprache gutheißen, die sie angeblich „beschützen“ soll?
Armut und Sprache
Anscheinend nicht. Zwei Dinge stachen mir bei der Studie sofort ins Auge: dass so ein großer Anteil derjenigen, die die PC-Sprache als ein Problem empfanden, einer Minderheit angehörte und der Umstand, dass es sich bei denen, die auf die PC-Sprache abfuhren, vor allem um relativ gut betuchte Aktivistinnen handelte.
Die Zahlen spiegelten haargenau meine eigene Erfahrung wider.
Aufgewachsen in der Unterschicht, hatte mich meist eine raue Sprache umgeben. Gespickt mit Beleidigungen gegen die Sippschaft, Ethnie, Geschlecht, Milieu, Aussehen. Meine Sprache spiegelt meine Welt wider. Und die Sprache der Unterschicht spiegelt eine brutale Welt wider.
Klar wussten wir, wie man außerhalb unserer Schicht redete, und bewegten wir uns in anderen Kreisen, konnten einige sprachlich besser, andere schlechter umswitchen.
Gänzlich bekehren ließ sich aber niemand.
Auch meine Romanhelden reden alles andere als politisch korrekt. Ein Lehrer erzählte mir kürzlich, wie gern er das Buch in seinem Unterricht behandeln würde, aber die Sprache sei doch zu „hart“. Auf der Hauptschule haben wir halt so geredet … bitch.
Das heißt nicht, dass ich für diskriminierende Sprache bin, aber bei Diskriminierung geht es eben um weit mehr als bloß um Worte und Bezeichnungen.
Menschen aus der Unterschicht wissen genau, dass sich durch solche Sprachregeln kaum etwas an ihrer Realität ändert. Dass sie sich nur irgendwelche Begriffe merken sollen, die ihnen letztlich nichts bringen.
Und tatsächlich bleibt auch nach der PC-Bewegung die Realität vieler Randgruppen unverändert. Weder Rassismus noch Sexismus oder Diskriminierung haben durch sie abgenommen.
Zeichen von Privilegien
Die zwei wichtigsten großen Debatten der letzten Zeit, #Me-Too und #Me-Two, bestanden nicht aus der Forderung nach einer stärkeren Regulierung der Sprache. Diese Bewegungen wollten, dass endlich die Lebensrealität vieler Menschen zwischen Diskriminierung und Sexismus wahrgenommen wird. In einigen Fällen, wie beim N-Wort, kann eine Diskussion über Wortverbote hilfreich sein und auf ein größeres Systemproblem aufmerksam machen.
Trotzdem denke ich, dass die PC-Sprache als politischer Anspruch weniger Minderheiten schützt, als vielmehr einer bestimmten akademisierten Minderheit das Gefühl der moralischen Überlegenheit vermittelt. Wer sprachlich gewandt ist, wird sich die Codes schnell aneignen und damit vor seinen Hipster-Snob-Freunden angeben können.
Die ständige Überprüfung der eigenen Sprache ist kognitiv anstrengend, weshalb ärmere Menschen, die genug andere Probleme haben, viel öfter daran scheitern. Ihre sprachlichen Missgeschicke werden jedoch als politische Gesinnung umgedeutet (Ist der Typ vielleicht doch ein Rassist? Ein Frauenfeind? Judenhasser?).
Befürworte ich also eine rassistische Sprache, wenn jemand arm ist? Natürlich nicht! Aber der Umstand, dass jemand arm ist, ist ein wesentlicher Bestandteil des Problems.
Weil viele Aktivisten den wirtschaftlichen Aspekt außer Acht lassen, prangern sie vor allem Worte an. Wer dann kein Rassist sein will, muss nur die richtigen Vokabeln pauken.
Zudem ist es kein Zufall, dass Political Correctness vor allem an Universitäten Hochkonjunktur hat. Sie ist selbst ein Zeichen von Privilegien.
Identitätspolitik
Dass man so auf die PC-Sprache pocht, bewirkt aber etwas noch Schwerwiegenderes: Das große Problem der Armut wird auf Fragen der Identität verschoben.
Einer der bekanntesten Politikwissenschaftler Francis Fukuyama schreibt in seinem Buch „Identität“, dass die Identitätspolitik für die Linke zu einem billigen Ersatz für ernsthafte Überlegungen zur wirtschaftlichen Ungleichheit geworden ist.
Es ist viel einfacher, ständig neue Identitäten zu finden und über kulturelle Fragen zu diskutieren, „als Gelder einzutreiben oder skeptische Gesetzgeber zur Änderung ihrer Strategie zu bewegen“.
Immer mehr deutsche Arbeiter rutschen in die Armut ab, trotzdem werfen viele Aktivisten sie fast schon genussvoll mit in die Kategorie „weiße Privilegierte“. Wenn sie dazu noch das Merkmal „alt“ und „männlich“ tragen, gehören sie endgültig zu den Gewinnern der Gesellschaft. (Diese verdammten alten weißen Männer!)
Ihr ahnt es schon
Dass viele wirtschaftlich Benachteiligte keine Nähe mehr zu traditionell sozialen Parteien wie der SPD oder der Linken verspüren, sollte niemanden wundern. Auch nicht, dass die AfD ihre erste Wahl geworden ist.
Die Rechten schauen auf eine lange Tradition der Identitätspolitik zurück. Für den Scheiß sind sie wie geboren. Inzwischen ist die Ablehnung der PC-Sprache „zu einer der wichtigsten Mobilisierungsquellen der Rechten geworden“, schreibt Fukuyama.
Gern schlüpfen Rechte sogar in die Opferrolle und bemängeln, dass es bei Homosexuellen, BIPOC’s, Queers (und was es nicht noch alles gibt) völlig in Ordnung sei, die eigene Identität zu feiern. Sobald man sich aber mit dem „weißen Rechten“ identifiziert, sei man ein Rassist.
Längst haben sie die Rhetorik der Linken gekapert und finden, ihre Gruppe werde ungerecht behandelt. Man nehme sie gar nicht mehr wahr, bevorzuge lieber Randgruppen. Natürlich seien die Medien auch gegen sie (Lügenpresse! Lügenpresse!). Macht man sich die Mühe, ihre Argumente zu widerlegen, sollte man lieber viel Zeit mitbringen. Doch das grundlegende Problem bleibt trotzdem bestehen.
Es geht weder um korrekte Sprache noch um kulturelle Identität.
Ihr ahnt es schon: Es geht ums Geld.
Die Sprache als Netz
In einer Welt der Preisschilder ist jede Beschäftigung mit Rassismus und Diskriminierung ohne den Faktor Geld sinnlos.
Deine weiße Haut zahlt nicht deine Miete, deinen Strom, deine Krankenkasse, dein Essen, deine Bildung.
Bei der Sprache fängt Diskriminierung nicht an, sondern sie endet dort, und das nicht mal oft. Diskriminierung ist viel stiller, als gemeinhin behauptet wird. Wie dein freundlicher Arbeitgeber, der die Grünen wählt und megaliberal rüberkommt, in einem Sekundenbruchteil entscheidet, Bewerbungsunterlagen mit Namen wie Sümbül und Ahmed zur Seite zu schieben, lässt sich eben nicht so gut in einem Facebook-Post anfeinden. Ein falsches Wort in die Kamera dagegen und die Social-Media-Algorithmen drehen durch.
Die Überbewertung der PC-Sprache vernebelt die Realität von Diskriminierungsopfern und ändert kaum etwas an ihrer Lage. Diese Aktivisten lieben es, Minderheiten vor falschen Bezeichnungen zu schützen, scheinen aber nichts dagegen zu haben, wenn sie ihre Büros, Küchen, Toiletten putzen.
„Solidarisch und gleichberechtigt und gut waren sie in ihrer Sprache, die irgendwie ein Netz über die Wirklichkeit spannte, die unter ihnen weiter ihren ungerechten und diskriminierenden Lauf nahm“, schreibt der Schriftsteller Karl Ove Knausgård.
Solidarität außerhalb der Community
Es bringt gar nichts, Jagd auf inkorrekte Sprache zu machen, nur um die Illusion aufrechtzuerhalten, man würde gegen Diskriminierung kämpfen. Die Verhältnisse bleiben bestehen.
Es bringt gar nichts, permanent zu fordern, man solle sich über die eigenen Privilegien im Klaren sein (Yeah, voll woke!), wenn die Forderung nicht sieht, dass Kategorien wie „weiß“, „männlich“, „hetero“ nichts sind im Vergleich zu „arm“. Dass Frauen und Minderheiten es in der Armut aufgrund von Rassismus und Sexismus schwerer haben, braucht man mir nicht zu sagen.
In der Welt der Preisschilder gibt es einen einfachen Test, um echte Privilegien zu ermitteln. Nehmt eine lesbische, schwarze, aber reiche Frau und einen heterosexuellen, weißen, aber armen Mann. Fragt euch jetzt: Wer kann problemlos seine Bildung, Nahrung, Strom, Obdach, Krankenversicherung bezahlen? Anders gefragt: Wer kann in der Welt der Preisschilder überleben?
Und ihr wisst, wer privilegiert ist.
Corona trifft vor allem die Armen.
In seinem Comedy Special auf Netflix brachte es Dave Chappele auf den Punkt, als er bei den Wahlen 2016 einen weißen, aber armen Wähler traf, der ihm sagte, Donald Trump würde im Weißen Haus für ihn kämpfen. Dave ist schwarz, aber reich.
„You dumb motherfucker … You are poor … he is fighting for me.“
In einer Zeit, in der rechte Parteien an Boden gewinnen, kann die Antwort nicht noch mehr Identitätspolitik sein, vor allem keine Sprachpolitik. Solidarität außerhalb der Community ist heute notwendiger denn je.