Haben wir einen freien Willen?
Religionen haben die schlechte Angewohnheit, Tatsachenbehauptungen in moralische Urteile umzuwandeln, was nicht selten für Verwirrung sorgt. Wenn wir von Tatsachenbehauptung sprechen, dann meinen wir Sätze wie:
„Gott hat die Bibel verfasst.“ Zum moralischen Urteil wird sie dann, wenn man sagt: „Du sollst daran glauben, dass Gott die Bibel verfasst hat.“ Der Glaube an die Behauptung wird zu einer Tugend und jede Überprüfung wird als Gesetzesverstoß geahndet. Tatsachen können aber wissenschaftlich überprüft werden, moralische Urteile nicht.
„Soll ich daran glauben, dass Gott die Bibel verfasst hat? „Puh, keine Ahnung, wird der Wissenschaftler sagen, Glauben kann ich nicht überprüfen. Keine Tatsache.
Auch die humanistische Religion versteckt Tatsachenbehauptungen in moralischen Urteilen. Eine dieser Tatsachenbehauptungen betrifft die Freiheit.
Humanisten lieben die Freiheit. Sie ist das Fundament, auf dem jede liberale Vorstellung gründet. Sei es der Markt, die Politik, die Kunst oder die Liebe. Humanisten sagen: Menschen sind freie Individuen, die einen freien Willen besitzen. Doch kann diese Behauptung einer gründlichen wissenschaftlichen Überprüfung standhalten?
Der Elefant im Labor
Die Erkenntnisse der heutigen Biowissenschaften lassen Zweifel aufkommen. Der freie Wille ist der Elefant im Labor, den jeder zu ignorieren versucht, weil er an seinem humanistischen Weltbild rüttelt. In der täglichen Forschung der Lebenswissenschaften taucht der freie Wille schon lange nicht mehr auf. Als Faktor spielt er überhaupt keine Rolle. Warum?
Nun die hübsche Geschichte über den festen Kern im Menschen hat leider ein kleines Problem. Man kann diesen Kern nirgendwo im Menschen finden. Oder anders gesagt, sie ist eine Tatsachenbehauptung, die in ein moralisches Gebot verwandelt wurde:
„Du sollst daran glauben, dass du einen freien Willen hast.“
Algorithmen entscheiden für uns
Da wir heute alle an den Humanismus glauben, darf an diesem Glauben nicht gerüttelt werden. Doch während Wissenschaftler an ihrem freien Willen festhalten, zeichnen ihre Forschungsergebnisse ein ganz anderes Bild vom Menschen.
Der Mensch ist kein Individuum, das einen festen Kern hat, sondern ein biologischer Organismus aus komplexen Algorithmen.
So weit so vage.
Ein Algorithmus ist eine methodische Abfolge von Schritten, mit deren Hilfe Berechnungen angestellt, Probleme gelöst und Entscheidungen getroffen werden.
Ein Kochrezept funktioniert wie ein Algorithmus. Nehmen wir Spaghetti Bolognese als Beispiel. 1) 100 g Hackfleisch in einer Pfanne anbraten. 2) Eine Zwiebel fein hacken. 3) Die Zwiebel in die Pfanne geben und mit dem Fleisch mischen. 4) Eine Packung passierte Tomaten zugeben. 5) Wasser in einem Kochtopf erwärmen. 6) Spaghetti ins kochende Wasser geben usw.
Man kann den Algorithmus Dutzende Male wiederholen und die Zutaten ändern. Jedes Mal entsteht eine andere Variante von Pasta mit Soße. Der Algorithmus bleibt derselbe. Natürlich muss auch jemand den Algorithmus ausführen, das kann eine Maschine oder ein Mensch sein. Sie können selbst nach einem Algorithmus einen Kaffee zubereiten, oder ihn sich von einem Kaffeeautomaten machen lassen.