Es fing mit einem simplen Versprechen an und lautete: Wer es wirklich will, kann einer von uns werden. Dafür muss er lediglich die Sprache beherrschen.
Nun, reden wir über die Sprache. Ist sie wichtig?
Ganz ohne jeden Zweifel. Man kann sich nicht auf Dauer mit Händen und Füßen verständigen, ohne dass es irgendwann peinlich wird. Beherrscht man die Sprache nicht, kann man weder im Bildungssystem vorankommen, noch in der Berufswelt bestehen. Es ist nicht schwer einzusehen, dass die Sprache in jeder Gesellschaft einen wichtigen Stellenwert hat. Doch wie wichtig ist sie wirklich?
Wofür die Sprache?
Die grundlegende Funktion der Sprache ist vor allem die Verständigung. Daher richtet sich die Sprache nach dem Umfeld, in dem sie verwendet wird. Akademiker brauchen ein anderes Sprachniveau als Bäcker, Kellner oder Dönerverkäufer. Ein paar Brocken Deutsch, um sich zu verständigen, reichen in einigen Berufen völlig aus. Dafür muss man nicht Goethe verstehen. (Goethe muss man sowieso nicht verstehen. Man kann es versuchen … wenn man will.)
In einigen großen Unternehmen wird heute fast nur noch Englisch gesprochen, weil es die Sprache ist, in der man sich im internationalen Markt verständigt. Es darf ruhig ein wenig gebrochen und mit viel Akzent untermalt sein. Doch solange die Kommunikation gelingt, ist alles in Butter.
Okay, aber wie gut muss man die Sprache eigentlich können? Welches Deutsch-Niveau braucht man, um als integriert zu gelten? Hakt man da ein wenig nach, werden die Leute plötzlich schmallippig. Irgendwie hat jeder eine gewisse Vorstellung davon, aber keiner kann genau sagen, wie sie aussehen soll. Anders gesagt: Wer setzt die Grenze? Und wer darf diese Grenze überhaupt setzen?
Man kommt schnell in Teufels Küche, wenn man es mit der Sprache zu ernst nimmt. Denn so einleuchtend ihre Wichtigkeit sein mag, so schnell neigt man dazu, ihre Bedeutung zu übertreiben. Sich gut verständigen, kann bei der Integration zwar hilfreich sein, muss es aber nicht. Vielmehr ist die Sprache ein Werkzeug, das Begegnungen erleichtert. Das ist doch genug.
Was ist aber mit dem ersten Teil des Versprechens? Wer es wirklich will, kann einer von uns werden. Also der Glaube, dass es nur von unserem Willen abhängt, ob wir dazugehören oder nicht. Reicht der Wille des Einzelnen aus?
Lesekreis für Kanaken
Erste Zweifel kamen mir an der Uni. Ich war fast am Ende meines Studiums und wusste noch nicht, was ich mit mir anfangen sollte.
Eilig hetzte ich zu einem langweiligen Seminar, als eine Studentin mir einen Flyer in die Hand drückte. Für gewöhnlich ist es mir zu peinlich, nein zu sagen, und ich nehme einfach alles, was man mir anbietet. Schauen die Leute weg, landet der Flyer dann im nächsten Mülleimer. Desinteressiert warf ich einen kurzen Blick auf den Titel:„Lesekreis für Kanaken“ las ich überrascht und steckte den Flyer in die Tasche.
Mein Kumpel Arman hatte denselben Flyer bekommen und überredete mich am folgenden Tag, mit ihm zu dem Treffen zu gehen. Ich dachte, es ginge um Bücher, und sagte zu.
Es ging natürlich nicht um Bücher. Eine Gruppe von Leuten hatte sich zusammengetan, um Migranten eine Safe-Zone anzubieten, wo sie sich über Deutschland und ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus austauschen konnten. Es war eine bunte Mischung aus zig Ethnien.
Anfangs herrschte eine entspannte Stimmung, alle waren freundlich und hielten gutgelaunt Smalltalk. Bis die Organisatoren zu erzählen begannen. Und mit jedem Satz, der folgte, wurde die Stimmung angespannter.
Sie erreichte einen Tiefpunkt, als mehrere Leute meinten, dass sie mit Deutschen nichts mehr zu tun haben wollten. Sie hassten sie nicht, aber sie hatten für sich entschieden, dass sie lieber bei ihren eigenen Leuten bleiben wollten.
Es war ein bewusstes Abkapseln, eine trotzige Abkehr. Als würden sie sagen: „Ich habe es lange genug versucht und jetzt könnt ihr mich mal.“
Erst war ich sprachlos, dann dagegen.
In den Wochen darauf besuchte ich das Treffen weiter und stritt mich oft mit den Leuten dort, auch wenn ich heimlich eine gewisse Sympathie für sie verspürte. In dieser Trotzhaltung lag etwas, das mir nicht fremd war. Vielleicht kennen das nur Minderheiten. Ich weiß es nicht. Es hat jedenfalls etwas mit dem Wissen zu tun, dass man anders ist, nicht dazugehört.
Eine von ihnen erzählte, dass sie früher Deutschen immer die Tür aufgehalten habe, damit sie sahen, dass es auch nette Migranten gab. Als ich das später meinen Freunden erzählte, mussten sie schmunzeln und kannten mindestens eine ähnliche Geschichte aus ihrem eigenen Umfeld. So eine Geschichte, in der jemand der Mehrheit zu gefallen versucht und sich rückblickend ein wenig dafür schämt.
Etwas Wichtiges ist mir damals klargeworden. In jenem Raum, der über der Universitätsbibliothek lag, saßen junge Akademiker, die die deutsche Sprache perfekt beherrschten. Leute, die Geschichte, Medizin, Jura, Englisch und Deutsch studierten. Aber genau diese Leute wollten sich abkapseln. Was war passiert?
Es gibt Deutsche, die sich empören, wenn ich ihnen davon erzähle: „Dann sollen sie sich in ihr Scheißland verpissen!“
Einige sprechen es nicht laut aus, andere zu laut.
Für mich war dies aber ein zutiefst trauriger Befund. Diese Leute waren mit der Gesellschaft eine Art Vertrag eingegangen und sie hatten sich an ihren Teil des Versprechens gehalten. Sie wollten wirklich dazugehören und folgten fleißig dem Appell: „Lern Deutsch, steig im Bildungssystem auf, geh arbeiten und du wirst einer von uns.“
Und sie gingen zur Arbeit, sie waren die Bildungsleiter hinaufgestiegen, sie konnten die Sprache perfekt, obendrein noch andere Sprachen dazu.
Sie hatten alles richtig gemacht. Und trotzdem waren sie hier, in ihrer geschützten Zone, in der die Sprache nur dazu diente, dass sie besser über ihre Verletzungen reden, sich besser darüber verständigen konnten, dazu eben, wozu die Sprache immer gedacht war. Sich zu verständigen.
Der Satz funktioniert immer
Heute haben wir Millionen Flüchtlinge, die in Deutschland Schutz suchen, und wenn wir über ihre Integration reden, reden wir wieder nur über die alten Dinge: Arbeit, Sprache, Bildung. Wir reden darüber, weil die Diskussion in vagen Argumenten gefangen ist, weil wir immer schon darüber geredet haben und weil wir es toll finden, wenn Gäste in einer Talkshow rufen: „Die müssen in Deutschland deutsch sprechen!“
Meist sind es Politiker. Auf den stürmenden Beifall hatten sie schon spekuliert. Der Satz funktioniert immer.
Versteht mich bitte nicht falsch. Das ist mir wichtig. Ich will damit nicht sagen, dass die Sprache unwichtig ist. Noch mal, das ist sie nicht. Ich selbst unterrichte nebenbei an einer Gesamtschule Deutsch als Fremdsprache und weiß, wie viel von der Sprache abhängt. Doch ich weiß auch, dass sie nicht alles ist. Ich weiß, dass wenn die Kinder die Sprache beherrschen, sie nur den ersten Schritt eines langen Prozesses gemacht haben, der dann nur noch wenig mit der Sprache zu tun hat. Ich denke, dass das auch die meisten intuitiv wissen. Deshalb will ich nun über etwas anderes sprechen, das für die Integration wichtig ist, und zwar mindestens genauso wichtig wie die Sprache. Nehmen wir als Beispiel Amerika.
Weiß. Christlich. Männlich.
Obwohl gerne behauptet wird, in Amerika spiele deine Herkunft keine Rolle, ist Rassismus dort ein allgegenwärtiges Thema. Die Diskussion über white supremacy ist wesentlicher Bestandteil der Integrationsfrage.
Ausgangspunkt dieser Diskussion ist nicht die Minderheit, sondern die Mehrheit und ihre Machtposition. Dabei versucht man zu verstehen, wie Menschengruppen aufgrund bestimmter Eigenschaften bevorzugt werden und warum das so ist. Nehmen wir beispielsweise die Eigenschaften „weiß“ und „christlich“.
Ist man ein weißer christlicher Mann, stehen einem nachweislich mehr Türen offen, als wenn man ein schwarzer muslimischer Mann ist. Die Eigenschaften „schwarz“ und „muslimisch“ sind schlechter bewertet.
Warum ist das so? Biologisch ist diese Frage nicht zu beantworten und leider ist die Ursache weit unspektakulärer, als man denkt. Denn es hat etwas mit dem Zufall zu tun.
Kulturelle Vorurteile entstehen durch zufällige historische Ereignisse.
Im Falle Amerikas herrschten Weiße über Schwarze und benutzten sie als Sklaven. Sie setzten diskriminierende Gesetze durch, um Schwarze nicht wählen zu lassen, und schlossen sie vom Bildungssystem weitgehend aus. Das führte dazu, dass mehr Schwarze an Armut und mangelnder Bildung litten als Weiße. Und das wiederum ließ kulturelle Vorurteile wie „Schwarze sind dümmer als Weiße“ fröhlich gedeihen.
Genauso entstanden übrigens auch sexistische Vorurteile gegenüber Frauen, die jahrhundertelang von der Bildung und von höheren Positionen ausgeschlossen wurden. Lange hielt man sie für dümmer als Männer. Das Schlimmste, was einem noch heute passieren kann, ist, die Eigenschaften „schwarz“, „muslimisch“ und „weiblich“ zu vereinen. Trägt man on top noch ein Kopftuch, können wir gerne wieder darüber reden, wie sehr es darauf ankommt, dass man es wirklich will.
So unglaublich wichtig
Zurück nach Deutschland. Welche Eigenschaften sind hier negativ bewertet? Spontan fallen mir Namen ein. Wenn man in Deutschland einen nicht deutschsprachigen Namen hat, muss man siebenmal mehr Bewerbungen schreiben als mit einem deutsch klingenden Namen. Vielleicht ist das der Grund, warum so viele meiner Freunde ihre Kinder Hanna, Helen oder Ben nennen und nicht mehr Nilofar, Tahere oder (Gott bewahre) Massoud.
Kommen die Eigenschaften „männlich“ und „südländisch“ zusammen, geht man gerne von einem hohen Maß an Aggressivität aus. Weshalb es hierzulande als vollkommen Okay gilt, vor Clubs das Publikum nach kulturellen Merkmalen auszuwählen.
Bestimmte Eigenschaften wie Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, und Geschlecht sind also weit größere Hindernisse für die Integration, als die Sprache es je sein könnte. Und vor allem sind diese Eigenschaften mit dem Willen des Einzelnen zum Teil gar nicht zu beeinflussen. Deshalb sollten wir es auch mit dem Willen nicht übertreiben.
In Deutschland reden wir solche Zusammenhänge gerne klein. Wir tun so, als würde man die Diskriminierung aufgrund bestimmter Eigenschaften als Ausreden benutzen, um die eigene Faulheit zu rechtfertigen. Nun, bestimmt trifft dies auf einige Fälle zu. Doch ist diese Position nicht genauso bequem, wie zu behaupten, alles Schlechte ginge von der Mehrheit aus?
Seien wir ehrlich, wir Deutschen mögen das Thema aus historischen Gründen nicht. Bestimmte Gruppen wegen bestimmter Eigenschaften ausschließen? Nee, lass uns gar nicht damit anfangen. Am Ende ist man noch der Nazi. Und keiner will heute mehr ein Nazi sein, nicht einmal der Nazi. Diskriminierung, das ist Vergangenheit.
Während ich diesen Artikel schreibe, schau ich kurz auf meine Uhr. Gleich muss ich mit den Kindern Deutsch auf B1-Level lernen. Sie können sich schon ziemlich gut verständigen. Ich werde mein Bestes tun, dass sie den Test am Ende des Kurses bestehen. Schließlich ist die Sprache wichtig, nicht wahr? So unglaublich wichtig.
18 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Ein wunderbarer Text der bestimmte Zustände, Prozesse und Vorgänge in unserer Gesellschaft toll darstellt. Er ist verständlich geschrieben und einfach zu verstehen. Es wird eine Klarheit geschaffen,die mir (obwohl das Thema an sich nichts ungewöhnliches ist) ein Klick verschafft, da es ein heikles Thema ist und doch so banal irgendwie…Trotzdem ohne eine feindliche Ader geschrieben. Es gefällt mir und ob deutsch oder Migrant man sollte es sich durchlesen.
Freut mich sehr, dass es dir gefallen hat. 🙂
Guter Text und vor allem ein wichtiges Thema, dass noch stärker ins Bewusstsein gerückt werden sollte. ????????
Freut mich, dass es dir gefallen hat.
Schön geschrieben!
Das ist ein wunderbarer Text. Hast Du eine Quelle für das siebenmal mehr Bewerbungen schreiben müssen zur Hand?
Danke! Es gibt mehrere Studien dazu, aber die größte ist von der Robert-Bosch-Stiftung 2014. Hier der Link http://www.bosch-stiftung.de/de/publikation/studie-diskriminierung-am-arbeitsplatz
Ich finde der Artikel zeigt deutlich, was Integration wirklich bedeutet und was uns tatsächlich fehlt um das Optimum aus dieser Situation zu holen. Integration muss von beiden Seiten geschehen. Es stimmt, Deutschland ist ein christlich geprägtes Land. Die Menschen, deren Vorfahren bereits hier gelebt haben wachsen mit anderen Wertvorstellungen auf, vielleicht auch mit denselben, aber ihre Prioritäten sind anders gelegt. Aber ein Deutschland, das nur “deutsch” ist und in dem sich jeder “deutsch” verhalten muss, gibt es nicht mehr. Wir wachsen hier auf, wir bilden uns weiter, schlagen hier Wurzeln, gründen Familien. Wir sind schon lange ein Teil dieser Gesellschaft und dieser Prozess ist nicht umkehrbar. Wir bereichern dieses Land mit der Form unserer Augen, dem Geruch unserer Speisen und dem Klang unserer Musik.
Viele auf unseren Seiten müssen noch erkennen, was für ein friedliches und respektvolles Miteinander wichtig ist und das kann nur passieren, wenn wir miteinander interagieren, uns nicht in Gruppen aufspalten. Es ist kaum mehr eine Frage der Zeit, bis ein Name wie Tahere oder Massoud ganz normal zwischen den Bewerbungen auftaucht. Schließlich war es ja auch nie überraschend, zusammen mit Phuong, Mustafa und Samira Abitur zu schreiben. Und wenn die Grundschullehrerin in zehn Jahren nicht mehr Frau Kirchmayer, sondern Frau Yildirim heißt, wird Markus wenn er Vorstand ist genau diese Konnotation haben, wenn er Murats Bewerbung vor sich liegen hat.
Sehr schön und einfach geschrieben, und das ist genau was ich jeden Tag hier seit zwei und halb Jahre fühle und dass ich die Sprache gelernt habe hat nichts geändert.
Danke !
Ich finde, dass der Text die gerne ignorierten Tatsachen ausgezeichnet darstellt. Auch deine Wortwahl trifft ins Schwarze. Wie zum Beispiel das Wort „Safe Zone“. Was solche Leute bewegt sich abzugrenzen ist nichts weiter als eine Mischung aus Wut und Erschöpfung. Wut deshalb, weil man sein ganzes Leben lang versucht hat dazu zu gehören. Und das obwohl einem nicht selten Dinge an den Kopf geworfen wurden, die einen zutiefst verletzt haben. Seien es einfache Worte oder Gegenstände. Auch muss man sich nicht selten doppelt und dreifach anstrengen, um die selbe Anerkennung zu erlangen, die anderen hinterher geworfen wurde. Bis zu einem gewissen Grad ist man allerdings auch bereit diese Tatsachen zu ignorieren und hinzunehmen, weil man auf ein höheres Ziel hin arbeitet und versucht sich von den Ausländern abzugrenzen, über die so viel schlechtes berichtet wird. Je näher man allerdings diesem Ziel kommt, um so mehr ignorieren die Deutsche den Migrationshintergrund. Bin ich schlecht, liegt das an meiner Religion und Kultur, die aufgrund ihrer falschen Werte einfach „nicht integrierbar“ in diesem Land ist. Bin ich gebildet und arbeite mich hoch, bin ich was „anderes“ und mit den ganzen Medienberichten überhaupt gar nicht gemeint.
Ein Beispiel: 3 damals sehr enge deutsche Freundinnen haben sich über Sarrazins Buch ausgetauscht und ihn dafür gelobt, endlich zu sagen „was Sache ist“ und mit großer Bestimmtheit der Aussage „kopftuchtragende Frauen, die nur kopftuchtragende Mädchen produzieren“ zugestimmt. Als ich mich geräuspert habe, kam direkt die Antwort: „Ach, bei dir ist das doch etwas vollkommen anderes! Du bist damit doch gar nicht gemeint!“
Natürlich hat die Schülerin mit einem 1,-Schnitt nicht in das Bild gepasst, dass viele Ausländer ungebildet sind und das deutsche Sozialsystem einfach nur aus Geldgier ausnutzen.
Tatsache ist aber: ich habe meine halbe Kindheit im Asylantenheim verbracht. Meine Mutter ist Kopftuchträgerin und zugegebenermaßen haben meine Eltern Sozialhilfe bezogen. Wir sind also sehr wohl gemeint. Ich habe es dennoch wieder stillschweigend hingenommen, wie so vieles. Aber irgendwann setzt die Enttäuschung nun mal ein. Man hat sein ganzes Leben daraufhin gearbeitet als Teil der Gesellschaft akzeptiert zu werden. Man wurde aber nicht akzeptiert als die Person, die man ist, sondern als Ausnahme mit einem guten deutschen Einfluss. Egal wie viele sich bilden und hohe Positionen bekleiden, man ist eben doch nur eine angebliche Rarität und Integration grundsätzlich fehlgeschlagen. Mit der Zeit schlägt diese Enttäuschung allerdings zunehmends in Wut um. Man kann nicht aus einer Schüssel voll Obst die guten Früchte rauspicken und auf die restlichen verfaulten Früchte zeigen und behaupten, dass es eine schlechte Ernte ist. Mit dieser Arroganz und Ignoranz können die wenigsten umgehen. Und wie alle großen menschlichen Emotionen schlägt auch diese Wut und Enttäuschung schlussendlich in eine Sache um: Erschöpfung. Man will sich von allem distanzieren, endlich etwas Ruhe finden und durchatmen. Am besten mit Leuten, denen ähnliches widerfahren ist. Um sich auszutauschen und Gleichgesinnte zu finden. Und genau dann bilden sich solche Gruppen über Bibliotheken, die all ihren Frust freien lauf lassen. Weil man eben für einen Moment nicht derjenige sein möchte, der stillschweigend Dinge hin nimmt. Man möchte nicht für die Lebensentscheidungen anderer Menschen in Verantwortung gezogen werden nur weil sie den selben Glauben haben. Fast jeder mit Migrationshintergrund gelangt an diesen Punkt. Die Frage ist nur, ob man es schafft sich von diesen Gefühlen zu lösen. Einige schaffen es, andere nicht.
Und genau an dem Punkt entscheidet sich meiner Meinung nach, ob wir bereit sind uns zu integrieren. Wir müssen uns unseren Gefühlen ebenso stellen wir unseren Fehlern. Denn was mir aufgefallen ist, ist dass wir genau die Fehler machen, die Deutsche ebenfalls machen. Man pickt sich die schlechten Beispiele raus und pauschalisiert. Wir sind alle nur Menschen. Und Menschen neigen dazu Fehler zu machen. Wir müssen nur schaffen uns gegenseitig von diesen Fehlern zu befreien und Ruhe einkehren zu lassen. Integration bedeutet nicht einfach nur Teil einer Gesellschaft zu sein, sondern vor allem auch seinen Frieden an einem Ort zu finden. Das ist ja schlußendlich das, was Heimat ist.
Super, hatte diese Diskussion erst gestern mit meiner Familie und wie ich jetzt lesen konnte bin ich nicht die einzige die so denkt. Besser hätte man es echt nicht sagen können.
Vor paar Monaten bin ich zu einer kleinen Veranstaltung gegangen bei der Geflüchtete über ihre Leben erzählt haben, unter Ihnen waren 2 syrische Frauen die kein Kopftuch trugen. Während sie gesprochen haben, wurde plötzlich „wenigstens tragen sie kein Kopftuch“ in den Raum gerufen. Nachdem die Übliche „muslimische Frauen werden unterdrückt blabla“ Diskussion beendet war, kam natürlich das zweitliebste Thema: die Integration. Die dort sitzenden Geflüchteten (mit gutem Deutsch und Englisch) sitzen also dort und dürfen sich anhören, dass sie doch gefälligst mal deutsch lernen sollen, wenn sie sich integrieren wollen. Glücklicherweise hatte ich kurz davor deinen Artikel gelesen und mir Gedanken dazu gemacht. Nachdem ich Ihnen also erklärt habe, dass ich seit 19 Jahren in Deutschland lebe, der Sprache sehr mächtig bin und trotzdem Kommentare über meine „Integration“ hören muss dumm angeguckt werde, wenn ich sage, dass ich deutsch bin, herrschte Stille und schließlich wurde mit den Worten „ja es stimmt, Sprache ist nicht alles“ klein beigegeben.
Also erst mal herzlichen Danke für den Artikel und den Gedankenanstoß .
Zweiten stimme ich dir vollkommen zu – Sprache ist nicht alles, vor allem zu heutigen Zeit in denen Englisch sogar wichtiger als die eigene Muttersprache angesehen wird.
Ich denke, dass Integration nur dann gelingen kann, wenn man (von allen Seiten) einen Perpektivwechsel durchführt, nicht die Sprache der Migranten, sondern die Einstellung die Ihnen entgegengebracht wird ist das Hindernis.
In dem Fall der „Akademikerkanaken“ die du erwähnt hast, würde ich sagen, dass ich sie nachvollziehen kann. Es ist ätzend sich ständig dumme Kommentare anhören zu müssen oder als gelungenes Beispiel für die multikulturelle Integration präsentiert zu werden, wobei man meiner Meinung nach, nicht mehr von Integration oder Ausländer sprechen kann bei Menschen die hier geboren und aufgewachsen sind.
Doch das „Auge um Auge“ oder das „sie finden kanaken doof also finden wir sie auch doof“ Prinzip anzuwenden ist schlimmer als kein einziges Wort deutsch zu können.
Immer wieder wird man mit solchen Situationen konfrontiert. Integration heißt für viele Menschen, dass man seine Identität ablegt und anfängt so zu sein wie sie. Man legt seine Kultur, Muttersprache und Werte ab, um so zu sein wie sie. Aber ist das Integration? Ist es denn gelungene Integration, wenn alle gleich sind. Gleich reden, gleich leben und gleich denken? Jahrelang hat man einfach geschwiegen und die Kritiker reden lassen, statt einzugreifen. Immer wurde und wird immer noch von uns erwartet uns zu ändern. Aber zu einer gelungenen Integration gehören zwei Seiten. Das wichtigstes an Integration ist doch der gegenseitige Respekt.
Ich muss mich nicht verstellen und zu einer Gesellschaft zu gehören, die mich so wie ich bin nicht akzeptiert und respektiert.
Die Sätze wie „Ja, aber du bist die Ausnahme.“ oder „Bei die ist das anders“ oder „Du bist ja deutsche“ sind nicht die Sätze die man hören will.
Ich bin sicherlich nicht die einzige Ausnahme.
Und eine Sache werde ich vermutlich auch nie sein. Ich werde niemal 100% deutsche sein. Dafür müsste ich meine Wurzeln leugnen und auch die Gesellschaft sieht mich nicht an und denkt sich „Ja, sie ist eine Deutsche“. Im
Gegenteil. Nach außen hin bin ich immer die „Ausländerin“. Für mich ist Integration nicht, dass ich die Sprache perfekt beherrsche oder die Kultur 100% Umsätze. Integration ist gegenseitigiger Respekt. Leider gibt es auf dem Weg der Integration viele Hindernisse, Steine und Mauern. Für uns wird der Weg der gelungenen Integration leider nie ein Ende finden, weil man immer wieder neue Sachen von uns erwarten wird. Immer kommen neue Voraussetzungen dazu, um „richtig“ integriert zu sein.
Man muss sich auf diesem Weg nur aussuchen, wo man seine eigene Grenze sieht. Wie viel kann und will man respektieren?
Liebe Newroz,
du sprichst mir aus der Seele!! Habe auch solche Situationen erlebt, habe diese aber immer klein geredet, weil ich glaube, dass es denen einfach nicht bewusst ist, dass es verletzend sein könnte.
Letztens ist mir Folgendes passiert: Ich gebe seit Jahren in einem Verein Training und sollte an dem Tag zwei neuen Kindern Training geben. Es waren Flüchtlingskinder, die von einem deutschen Ehepaar betreut wurden. Und es war das erste Mal, dass mein Trainer, den ich jahrzehntelang kenne, mich mit folgenden Worten vorgestellt hat: “Das ist eure Trainerin, sie hat hier Abi gemacht und studiert zur Zeit.” Ich war etwas sprachlos und dachte mir, was hat das mit dem Training zu tun? So hat er mich zuvor nie vorgestellt! Ich war wirklich enttäuscht und wütend. Doch dann habe ich erfahren, dass er die Zweifeln des deutschen Ehepaares (waren auch etwas älter) beseitigen wollte. Diese Situation hat mir einfach gezeigt, dass ich sofort pauschalisiert und nur in eine Richtung gedacht habe….wir müssen uns wirklich von “diesen Fehlern” befreien, da hast du vollkommen Recht!
LG
Ich habe nun den Text gelesen, ich verstehe auch weswegen es das B2 beruflich gibt. Ich bin Deutsche und habe hier viele Syrische Flüchtlinge, die für mich nicht nur Freunde sind, sondern ich sehe sie wie meine Familie an.
Nochmals zu diesen Deutschkursen.
Alles was Recht ist, aber das was in diesen Kursen allen Ausländern abverlangt wird, wegen der deutschen Sprache, das ist für mich einfach nicht nachvollziehbar. Mein Prüfungsnotendurchschnitt lag bisher im Fach Deutsch bei maximal 1,2.
Ich zolle jedem Respekt von Euch, der diesen Integrationskurs absolviert!
Soviel Blödsinn und soviel untypisches Deutsch wie in diesen vorgeschriebenen Kursen, das ist ja reine Schikane- so empfinde ich das und auch viele meiner deutschen Bekannten.
Ich wünsche allen auf diesem Wege viel Erfolg bei den Prüfungen. LG Karin
Als Migrantenkind ist man zu ewiger Pubertät verbannt – eine never-ending Identitäsfindung oder sollte ich sagen Identitäskrise?
Irgendwann hat man keinen Bock mehr und ist stolzer Kanake bis man wieder irgendwie zur mächtigen Mehrheit gehören möchte und wieder in eine Identitätskrise verfällt. Dabei kommt es vor, dass man deutscher als Deutsche spricht oder sich akademischer als Akademiker benimmt. Das (gebrochene) Versprechen hat Vater Deutschland nie gegeben. Wir haben dieses in unserer Naivität selbst erträumt.
Sehr toller Text! Ich kann zwar nur als Kartoffel antworten, aber genau das ist auch mein Einwand. In Foren o.ä. wird so gerne behauptet , alles, was verlangt werde, sei “sich an die Gesetze halten und Deutsch sprechen” um akzeptiert zu werden. Ich unterrichte ebenfalls DaF und ich möchte jedes Mal rufen: “Ach?? Haben deshalb die Teilnehmer meiner Kurse so viele deutsche Freunde? So guten Anschluss an die deutsche Bevölkerung? So viel Hilfe?” Blödsinn.
“Erstmal Deutsch lernen” heißt eigentlich “Verschwindet doch bitte erstmal in Kursen, wo ich mich nicht mit euch befassen muss.” Es wird sehr gerne übersehen, dass Integration wie Tango ist – es gehören immer zwei dazu.
Dem ist nicht viel hinzuzufügen haha Super