Das Recht, ein Deutscher zu sein
Vor Kurzem las ich den Essay eines guten Freundes. Darin beschrieb Navid, wie seine Familie und er von Iran nach Deutschland geflohen waren, wie sie sich durch unzählige Ausländerbehörden geschlagen hatten und wie sie gemeinsam von Null auf neu anfangen mussten. Es war ein harter Kampf, oft aussichtslos.
„Ich wollte allen zeigen, dass ich es schaffen kann.“, sagte Navid einmal.
Später machte er sein Abitur, studierte Jura und bekam die deutsche Staatsbürgerschaft. Navid zeigte es allen. Er kam voran, aber nie an.
Es war ein sehr langer und emotionaler Text und man spürte, wie dieses Lebensthema an ihm nagte. Als würde es ihn innerlich auffressen. Früher erlebte ich Navid oft, wie er in der Uni am Rande eines Ausrasters mit Studenten diskutierte, weil sie ihn gefragt hatten, woher er komme. Als hätte die Frage allein, ihn wieder zum Flüchtling erklärt, zum Ausländer. Als hätte er nie gekämpft.
Leidenschaftlich argumentierte Navid in seinem Essay, dass der deutsche Pass alleine ausreichen müsse, um Deutscher zu sein. Schließlich ist man Bürger eines Landes und bekennt sich zu seinen Gesetzen. Gegen Migranten, die sich stolz auf die Herkunftsländer ihrer Eltern beriefen, obwohl sie doch Deutsche waren, wetterte er scharf:
„Sie lassen sich ihr Recht, Deutscher zu sein, einfach nehmen! Wieso bestehen sie so auf ihre Andersartigkeit!? Etwa damit Klaus, Hannelore und Thomas sich bestätigt fühlen, dass sie keine Deutsche sind!?“
Ich sage meist nichts, lächle, höre ihm zu. Bleib bei ihm.
„Wir müssen den Deutschen das Gefühl wegnehmen, dieses Land gehöre nur weißen Biodeutschen!“
Jeder will dazugehören.
Nach der Lektüre dachte ich lange über sein Argument nach. Hat er denn nicht recht? Ist ein Deutscher nicht einfach jemand mit einem deutschen Pass?
Die Blindheit des Gesetzes
Da das Bundesgesetz kein Mensch aus Fleisch und Blut ist, ist ihm die Gefühlswelt der Menschen egal. Vor dem Gesetz sind wir alle Deutsche, die einen deutschen Pass besitzen. Scherzhaft sagen Freunde von mir auch: Deutscher auf dem Papier.
Ich kenne niemanden, der sich bei seiner Identitätssuche je auf seinen Pass berufen hätte. Und wenn ich ehrlich bin, hat mir mein Pass dieses Gefühl auch nie vermitteln können. Zwischen mir und dem Gesetz liegen meine Gefühle.
Das Grundgesetz funktioniert gerade deshalb so effizient, weil es nicht auf die Gefühle der Menschen reagiert. Moralische Prinzipien wie „Alle Menschen sind gleich.“ und „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ leiten seine Gesetze. Solange man sie befolgt, kann man gern die deutsche Bürgerschaft bekommen.
Diese abstrakte Seite des Grundgesetzes ist seine größte Stärke. Denn es macht das Rechtssystem unparteiisch. Sein kalter Blick hat etwas sehr Gütiges. Durch solche Augen hätte ich gerne mal die Welt betrachtet. So würde ich nie Diskriminierung, Rassismus, oder Sexismus entdecken. Doch niemand hat solche Augen.
Zwischenfrage: Hörte der Rassismus auf, weil Schwarze in Amerika dieselben Rechte bekamen wie Weiße? Oder hörte der Sexismus auf, als Frauen dieselben Rechte bekamen wie Männer? Natürlich nicht. Denn die Gefühle in Form von Vorurteilen verschwinden nicht mit Gesetzen für die Gleichberechtigung .
Anders gesagt: die Stärke des Gesetzes ist genau genommen auch seine Schwäche. Das Grundgesetz ist blind für die feinen Gefühle der Menschen, die dauernd ein Wir suchen und die Anderen ausgrenzen. Zwar wollen wir einer Gruppe angehören, aber nicht immer derselben
Wenn es der Pass also nicht hergibt, wie wird man dann ein Deutscher?
Leider gibt es dafür kein gültiges Aufnahmeverfahren. Haben sich nationale Identitäten einmal durchgesetzt, werden sie sehr hartnäckig verteidigt.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Danke für den interessanten Artikel! Die Thematik hat mich schon immer beschäftigt und man hört ständig andere Meinungen diesbezüglich. Dein Artikel hat mit geholfen etwas Klarheit darüber zu bringen.
Sehr inspirierend mein Freund! Ich lese deine Texte immer gerne.
Danke dir!