Pharmazie und Glück
Haben also die Biochemiker mit ihrem Glücksverständnis recht, ist das Glück nur noch eine Frage der richtigen chemischen Dosierung. In Aldous Huxleys Roman Schöne neue Welt von 1932 braucht die Regierung nicht mehr Polizei und Wahlen, um zu funktionieren. Gute Psychopharmaka reichen völlig aus. Die synthetische Droge Soma macht die Bürger glücklich, ohne dabei ihre Produktivität und Effizienz zu beeinträchtigen. Also warum soll man Huxleys Welt eigentlich als eine Dystopie verstehen? Schließlich sind doch dort alle glücklich.
Früher beäugte man Psychopharmaka sehr kritisch, doch heute haben sie ihre Stigmatisierung längst hinter sich gelassen. Ein großer Teil der Bevölkerung nimmt regelmäßig Psychopharmaka. Das Aufputschmittel Ritalin war ursprünglich für Kinder mit ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom) gedacht.
Heute benutzen immer mehr gesunde Kinder und Studenten solche Medikamente, um ihre geistige Leistung zu steigern. Zum ersten Mal in der Geschichte erleben wir, dass Verhaltensveränderungen nicht mehr durch gesellschaftliche oder politische Umbrüche passieren müssen. Es reicht, unsere Biochemie zu verändern. So arbeiten immer mehr Forschungslabore daran, ausgeklügelte Methoden zu entwickeln, um die menschliche Biochemie zu beeinflussen. Zum Beispiel, indem man elektrische Reize direkt an die entsprechenden Hirnareale sendet, die das Glücksempfinden auslösen.
Philosophen wie Epikur, die irdisches Glück besangen, wirken im Vergleich zu einem modernen Menschen wie konservative Spielverderber. Für Epikur war die Lustgewinnung nicht von zentraler Bedeutung, viel wichtiger war die Leidvermeidung. Mit den Biochemikern teilte er die Auffassung, dass die angenehmen Empfindungen flüchtige Erfahrungen seien. Deshalb schlug er vor, dass man ihnen nicht nachjagen sollte. Eher müssen wir uns fragen, welche Bedürfnisse natürliche und welche nur leere seien. So solle der Mensch lieber in geringen Portionen Glück erfahren und Freuden in kleinen Dingen finden. Exzessiven Glücksempfindungen lieber vermeiden. Denn diese führen wiederum zu exzessivem Leid. Wir müssen also sortieren und uns genau fragen, was wir wirklich brauchen. Man könnte sagen, dass Epikur der erste moderne Ratgeber-Philosoph war.
Doch so sehr sich Biowissenschaftler und Epikur in der Analyse einig sind, so sehr unterscheiden sie sich in ihren Lösungsansätzen. Während Epikur eine Ethik der Mäßigung anbietet, befindet die Pharmaindustrie genau das Gegenteil für richtig. Sie will Mittel entwickeln, um Glück immer länger und intensiver zu gewährleisten.
3 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Solang du nach dem Glücke jagst,
Bist du nicht reif zum Glücklichsein,
Und wäre alles Liebste dein.
Solang du um Verlornes klagst
Und Ziele hast und rastlos bist,
Weißt du noch nicht, was Friede ist.
Erst wenn du jedem Wunsch entsagst,
Nicht Ziel mehr noch Begehren kennst,
Das Glück nicht mehr mit Namen nennst,
Dann reicht dir des Geschehens Flut
Nicht mehr ans Herz, und deine Seele ruht.
(Hermann Hesse)
Häufig wissen wir, was uns gut tut, tun es aber nicht. Häufig wissen wir auch, was uns auf Dauer nicht gut tut, und tun es trotzdem.
Schöne Grüsse aus Osnabrück
Hey Rainer,
stimme dir total zu. Das Interessante daran ist, dass das Wissen überhaupt nicht ausreicht. Nur weil etwas wissen, heißt es nicht, dass wir danach handeln.