Auf die Frage, was von all der Kunst überdauere, sagte Robert Musil einmal „Wir, als Veränderte.“ Welche Bücher haben mich verändert?
Lasst mich nicht lügen: keines im Besonderen ebenso wie alle zusammen. Müsste ich aber einen Text herausheben, einen, den ich immer und immer wieder gelesen habe, so wäre es wohl Rilkes Briefe an einen jungen Dichter. 1903 geschrieben, haben mir Rilkes Worte ein Jahrhundert später – ich kam gerade frisch aus der Schule – den Mut geschenkt, meiner Kunst nachzugehen. Über die Jahre habe ich sie immer mal wieder aufgeschlagen, mich davon inspirieren zu lassen, wie neues darin zu entdecken. Inzwischen sind mir die Worte vertraut. Sie haben mir dabei geholfen, mich von den Stimmen der Außenwelt zu lösen und für Wertschätzung und Bewertung meiner Kunst nach innen zu blicken.
Es war ein junger Autor wie ich, voller Zweifel und Unerfahrenheit, der sich zu Beginn des letzten Jahrhunderts an Rilke wandte, ihm seine Verse anvertrauend, mit der Bitte um Rat und Kritik. Rilkes Antwort ist programmatisch für seine Auffassung von künstlerischem Schaffen:
“Sie fragen, ob Ihre Verse gut sind. Sie fragen mich. Sie haben vorher andere gefragt. Sie senden sie an Zeitschriften. Sie vergleichen sie mit anderen Gedichten und beunruhigen sich, wenn gewisse Redaktionen Ihre Versuche ablehnen. Nun bitte ich Sie, das alles aufzugeben. Sie sehen nach außen, und das vor allem dürften Sie jetzt nicht tun. Niemand kann Ihnen raten und helfen, niemand. Es gibt nur ein einziges Mittel. Gehen Sie in sich. […] Und wenn aus dieser Wendung nach Innen, aus dieser Versenkung in die eigene Welt Verse kommen, dann werden Sie nicht daran denken, jemanden zu fragen, ob es gute Verse sind. Sie werden auch nicht den Versuch machen, Zeitschriften für diese Arbeiten zu interessieren: denn Sie werden in ihnen Ihren lieben natürlichen Besitz, ein Stück und eine Stimme Ihres Lebens sehen. Ein Kunstwerk ist gut, wenn es aus Notwendigkeit entstand. In dieser Art seines Ursprungs liegt sein Urteil: es gibt keine anderes. Darum, sehr geehrter Herr, wusste ich Ihnen keinen Rat als diesen: in sich zu gehen und die Tiefen zu spüren, in denen Ihr Leben entspringt.”
Man darf Rilke nicht missverstehen.
2 Kommentare. Hinterlasse eine Antwort
Das ist schön was sie machen. Herr ghasemin
Hallo,
Du hast deine (und Rilkes) Worte in einen schönen Raum gesetzt.
Ich habe mich in den Fragen zu meinem eigenen kreativen Prozess verloren und Deine Worte gefunden. Oder sie mich, wer weiß?
Danke Dir dafür.
Eines verstehe ich jedoch nicht… Warum darf man Rilke nicht falsch verstehen?